Minister de Maiziere zur Lage der Kirchen in der Türkei

«Zusagen auch einlösen»

Bundesinnenminister Thomas de Maiziere hat Ankara zur Gewährung voller Religionsfreiheit für die christliche Minderheit in der Türkei ermuntert. Im Interview verweist er auf Beschränkungen etwa bei Grundstücksfragen. Zudem warb er für die Wiedereröffnung des 1971 geschlossenen griechisch-orthodoxen Seminars auf der Insel Chalki.

 (DR)

Zudem warb er für die Wiedereröffnung des 1971 geschlossenen griechisch-orthodoxen Seminars auf der Insel Chalki. De Maiziere führte von Mittwoch bis Freitag in Istanbul Gespräche mit Religionsvertretern und kam in Ankara mit führenden Politikern des Landes zusammen.



KNA: Herr Minister, wie haben Sie die Situation der christlichen Minderheit in der Türkei erfahren?

de Maiziere: Ich bin angesichts der großen Geschichte des Christentums im gesamten Mittelmeerraum traurig, dass jetzt - bezogen auf die Gesamtbevölkerung - nur noch weit unter ein Prozent christlichen Kirchen angehören. Um so mehr müsste man erwarten, dass diese Kirchen mit ihrer so wichtigen Tradition bei der Ausübung ihrer Religionsfreiheit keinerlei Beschränkungen ausgesetzt sind.



KNA: Wo sehen Sie Probleme?

de Maiziere: Es gibt beispielsweise viele Probleme mit dem Eigentumsrecht, beim Bau von Gotteshäusern oder Gemeindegebäuden. Und seit langem steht die Forderung im Raum, die Öffnung des griechisch-orthodoxen Seminars auf Chalki nach bald 40 Jahren wieder zuzulassen. Darauf hoffen wir seit langem.



KNA: Mit Blick auf die Nutzung von historischen Kirchengebäuden scheint es zuletzt einzelne Signale der Öffnung zu geben.

de Maiziere: Alle meine Gesprächspartner von kirchlicher Seite sagten, dass es unter der jetzigen Regierung bei Fragen der Religionsfreiheit besser wird. Aber eben noch nicht gut genug. Ich hoffe, dass die Zusagen auch in die Tat umgesetzt werden. Es geht um vollständige freie Religionsausübung - nicht nur im individuellen Bereich, sondern auch im institutionalisierten Rahmen.



KNA: Wie auch immer der EU-Beitrittsprozess aussehen wird: Wie wichtig ist die Frage der Grundrechte für die religiösen Minderheiten?

de Maiziere: Die Hinwendung der Türkei zur Europäischen Union hilft natürlich bei diesen Fragen. Aber die Frage der Religionsfreiheit muss man davon unabhängig diskutieren. Die Freiheit der Religionsausübung ist Teil der europäischen Menschenrechtscharta und der UNO-Charta. Von daher muss jeder Staat - und erst recht ein Staat, der sich nach Europa wendet - Religionsfreiheit umfassend gewährleisten. Sie wird ja auch nicht offen in Frage gestellt. Aber zwischen voller Religionsfreiheit und dem Verbot von Religionsausübung bleibt ein breites Spektrum. Und hier bin ich sehr zuversichtlich, dass die Türkei das, was sie politisch zugesagt hat, einlösen wird.



KNA: Geht die politische Führung in ihren Beteuerungen oder Zusagen weiter, als es dann vom Apparat oder der Bürokratie umgesetzt wird?

de Maiziere: Den Eindruck kann man vielleicht gewinnen. In diesem Land stehen sich durchaus zwei große Lager gegenüber. Und diese beiden Denkrichtungen und Bewegungen können sich durchaus in den Verwaltungen widerspiegeln. Das mag eine Erklärung für Probleme sein, darf aber keine letzte Antwort bleiben. Eine politische Führung darf nicht akzeptieren, dass Entscheidungen im Beamtenapparat versanden.



KNA: Verstehen Sie, wenn in Deutschland neue Moscheebauten gelegentlich gegen mehr Freiheiten für Christen beispielsweise in der Türkei aufgerechnet werden?

de Maiziere: Nach unserer Verfassung ist Religionsausübung eine Selbstverständlichkeit. Und selbstverständlich erlauben wir Moscheebauten im Rahmen der baurechtlichen Vorgaben. Wir könnten nicht einfach Moscheebauten einschränken, weil andernorts christliche Kirchen Probleme haben. Wenn aber für uns in Deutschland, wo vier Millionen Muslime leben, die freie Religionsausübung eine Selbstverständlichkeit ist, kann man schon erwarten, dass sie auch andernorts für gut 0,1 Prozent der Bevölkerung voll umfänglich gewährt wird. Sicher, da gibt es kein "do ut des", kein "Wie du mir, so ich dir". Wer so um den Rang von Religionsfreiheit weiß, darf auch andere daran erinnern.



KNA: Zu Beginn Ihrer Reise haben Sie davon gesprochen, Istanbul sei eine "große europäische Stadt". Sollten Christen und Muslime diese Stadt stärker als Dialogzentrum zu nutzen versuchen?

de Maiziere: Patriarch Bartholomaios I. hat mir gezeigt, wie sehr er und die griechisch-orthodoxe Kirche sich im Dialog der abrahamitischen Religionen, von Christentum, Judentum und Islam, engagieren. Das war beeindruckend. Weniger beeindruckend ist, dass die alltägliche Ökumene zwischen Protestanten und Katholiken, die wir in Deutschland fast in jeder Kirchengemeinde kennen und die mehr oder gelegentlich weniger funktioniert, hier auch unter den christlichen Gemeinschaften verbesserungsfähig ist.



KNA: Auch das Gespräch mit dem Islam.

de Maiziere: Der demokratische Staat in Deutschland, der die Islamkonferenz veranstaltet und sich um Integration bemüht, ja um die Rolle des Islam bei der Integration ringt, liegt beim Dialog mit dem Islam zumindest nicht zurück gegenüber dem wirklichen Dialog zwischen den Religionen. Das ist noch zurückhaltend gesagt. Auf diesem Feld müsste von kirchlicher Seite viel mehr stattfinden, als derzeit in Deutschland läuft.



Das Interview führte Christoph Strack.