Caritas kritisiert marginale Hartz-IV-Erhöhung

"Bedarf der Kinder verfehlt"

Die Hartz-IV-Empfänger sollen künftig fünf Euro mehr im Monat bekommen. Dr. Frank Johannes Hensel, Direktor des Diözesan-Caritasverbandes für das Erzbistum Köln, erläutert im domradio.de-Interview, warum er die aktuelle Sozialstaats-Debatte für populistisch hält und dass sie am wirklichen Bedarf der Kinder vorbei gehe.

 (DR)


domradio.de: Sind 5 EUR mehr für Empfänger von Arbeitslosengeld II im Monat nicht genug? Was glauben Sie?

Franck Johannes Hensel: Zunächst klingt das natürlich nach sehr wenig. Es kommt einfach darauf an, was man will. Wenn man sich wie in diesen Modellberechnungen an einer Bezugsgruppe orientiert, die die unteren 15% derer sind, die gerade noch etwas verdienen, und zwar oft in einem sehr niedrigen Lohnsektor, wenn man da einen großen Abstand von halten will, das ist politisch ja auch so gewollt und im Grunde nachvollziehbar, wenn das untere Lohnniveau in den letzten Jahren nicht so merkwürdig tief gesunken wäre, dann könnte man das verstehen. Aber hier liegt der Denkfehler: Man will einen großen Abstand zum Niedrigstlohnsektor haben und nimmt sich da die letzten 15% - das ist eine Bezugsgröße, bei der man dann zu solchen Zahlen kommt.



domradio.de: Für die Opposition ist die Entscheidung der Regierung jetzt ein gefundenes Fressen. Wie viel Populismus ist dabei und wie viel gerechte Kritik?

Hensel: Ich finde, da ist ohnehin relativ viel Populismus im Spiel, wenn man sagt, wir nehmen Alkohol und Zigaretten heraus und Internetanschluss wieder hinein, dann ist das ja auch ein schönes eingängiges Modell. Ich habe den Eindruck, dass man nicht deutlich herausgerechnet hat, was ein Kind wirklich braucht, sondern nur, was bestimmte Bevölkerungsgruppen für Kinder ausgeben. Und dann sagt man, die Zahlen nehmen wir. Das aber einfache ein Setzung, denn was ein Kind wirklich braucht, ist wieder nicht erhoben worden. Insofern bin ich auch sehr enttäuscht von dem, was dabei herauskommt. Ich habe kein Problem damit, dass man Zahlen groß- und kleinrechnen kann, solange wir wirklich genau wissen, was ein Kind in diesem Land braucht. Und 10 EUR für den Sportverein oder Ähnliches sind bei dieser Einpreisung schwer zu kriegen.



domradio.de: Jetzt wird es v.a. auch darauf ankommen, welche Leistungen es für Kinder aus den Familien der Langzeitarbeitslosen gibt. Wären Sie für Sachleistungen, wie es die Regierung vorsieht?

Hensel: Die vorgesehenen Sachleistungen sind sicher gut, denn sie kommen unmittelbar beim Kind an. Und sie gehen ja auch in Richtungen, die wir schon seit einer ganzen Weile fordern: Das ist das Mittagessen für die Kinder, das sind Möglichkeiten der Teilhabe im Bereich Kultur und Sport. Sehr traurig fände ich es, wenn ein Nachhilfemarkt auch noch über Chipkarten bedient wird. Das ist sicher alles eine ordentliche Idee, nur die Grundausstattung der Kinder ist schief, denn der Hunger, den wir in unseren Einrichtungen sehen, den die Kinder aus dem Wochenende mitbringen, den gibt es ja erst seit wenigen Jahren, seit die Regelsätze durch Hartz IV so unauskömmlich geworden sind. Das war vorher ja nicht der Fall. Wir reden ja keineswegs schon seit Jahrzehnten über das Problem hungriger Kinder, sondern das ist erst seit wenigen Jahren der Fall. Das Niveau stimmt also nicht.



domradio.de: Die Opposition will jetzt auf die Barrikaden gehen und im Bundesrat blockieren. Letztlich wird wahrscheinlich das Bundesverfassungsgericht entscheiden müssen, ob die Berechnung der Regierung so korrekt ist. Was glauben Sie, ist die Regierung mit ihrer Berechnung auf der sicheren Seite?

Hensel: Das ist eine ganz spannende Frage. Dazu müsste man etwas mehr Details wissen. Soweit ich das bisher überblicke, hat man Paarhaushalte berechnet und Haushalte mit einem Kind in unterschiedlichen Altersstufen. Bei dieser Betrachtung hat man dann gesagt: Die Differenz scheint der Bedarf der Kinder zu sein. Das ist meiner Meinung nach eine kühne Setzung, und ich habe nicht den Eindruck, dass damit wirklich Kinderbedarf abgedeckt ist. Wir wissen doch gar nicht, ob die unteren 20% - so wurde bei den Kindern angenommen, nicht 15% wie bei den Erwachsenen - ob diese unteren 20% der Bevölkerung überhaupt ordentlich Bildungsausgaben für das Kind tätigen, ob wir das überhaupt wollen. Das wird einfach so gesetzt. An der Stelle ist der Kinderbedarf meiner Meinung nach verfehlt. Ob das wirklich ein Verfassungsgericht regeln kann oder ob das nicht eine politische Willensbildung ist, da bin ich doch noch sehr im Zweifel.