Auslandsseelsorger Aloys Butzkamm über Christen in der Türkei

«Nicht die beliebteste Bevölkerungsgruppe»

Der Wittener Pfarrer Aloys Butzkamm hat die vergangenen Monate als Seelsorger an der deutschen katholischen Gemeinde Sankt Paul in Istanbul verbracht. Ein Gespräch mit dem ehemaligen Islambeauftragten des Erzbistums Paderborn über die Lage der Christen in dem Land vor dem Türkei-Besuch von Bundespräsident Wulff.

 (DR)

KNA: Herr Pfarrer Butzkamm, wie betreut ein Pfarrer die Gemeinde von Istanbul, die sich quasi über das ganze Land erstreckt?

Butzkamm: Ich bin einmal im Monat von Istanbul nach Ankara geflogen.

Mit dem Taxi fuhr ich dann zu einer Familie, wo ich auch übernachtet habe. Sonntagmorgens war dann der Gottesdienst in der Turnhalle der deutschen Botschaftsschule. Es gibt auch einige Kirchen in Ankara, etwa im Garten der Nuntiatur. Aber die Leute sagen: Wir sind lieber hier in der Turnhalle. Dann werden wir nicht gedrängt durch andere Messfeiern, die vorher oder hinterher stattfinden. Die Turnhalle wird etwas abgetrennt. Es gibt sehr viele Kinder dort, die in der Turnhalle Fußball spielen oder turnen können. Irgendwann heißt es dann, der Gottesdienst fängt an. Und hinterher können sie wieder spielen, während die Erwachsenen sich noch unterhalten. Es ist eine rege Gemeinde in Ankara.



KNA: Gibt es auch in den Dörfern Katholiken? Oder beschränkt sich das auf die Städte?

Butzkamm: In den Dörfern gibt es keine Christen. Von daher ist auch der Ruf "Wir wollen in der Türkei Kirchen bauen" völlig überflüssig. Wir brauchen keine neuen Kirchen in der Türkei. Wir haben genügend.  Ich brauche auch keine Kirche in Istanbul. Der Saal ist groß genug.  Es kommen an normalen Sonntagen 20 Leute, an Festtagen auch schon mal 80. Dann können wir mehr Stühle stellen. Auch der evangelische Kollege sagt, dass er keine neue Kirche braucht. In Deutschland ist die Situation eine andere. Hier leben vier Millionen Muslime, die Moscheen brauchen. Zum Glück haben wir eine Verfassung, die dies zulässt.



KNA: Hat also der Streit um die Kirche in Tarsus eher Symbolcharakter?

Butzkamm: Es wäre natürlich schön gewesen, wenn die türkische Regierung gesagt hätte: Für das Paulusjahr könnt ihr die Kirche nutzen. Das hätte der türkischen Regierung und dem ganzen Land gut angestanden. Ich habe die kühne Idee, dass man zum Beispiel die Hagia Sophia, die früher Kirche, dann Moschee war und jetzt Museum ist, an einigen Festen des Islam den Muslimen für Gottesdienste zur Verfügung stellt. Und dass man aber auch den Griechisch-Orthodoxen die Hagia Sophia für ein Fest oder eine Woche im Jahr zur Verfügung stellt.



KNA: Es heißt hier immer, Christen in der Türkei würden unterdrückt.

Stimmen diese Aussagen?

Butzkamm: Eine Christenverfolgung, von der hier manchmal die Rede ist, gibt es nicht. Es hat sicher schlimme Dinge gegeben, etwa gegenüber chaldäischen Christen im Osten der Türkei. Aber in Istanbul oder Ankara habe ich nichts von einer Verfolgung gemerkt.  Wenn etwa Priester umgebracht werden, ist dies nicht im Sinne der Türken oder der türkischen Regierung. Allerdings muss man auch

sagen: Wir Christen sind nicht die am meisten geliebten Leute in der Türkei.



KNA: Es sind Gesetze geändert worden, weil die Türkei in die EU möchte. Muss noch mehr passieren?

Butzkamm: Auf jeden Fall. Es geht um Kirchenöffnungen oder, dass man der griechisch-orthodoxen Kirche einiges an Liegenschaften zurückerstattet.



KNA: Und die katholische Kirche?

Butzkamm: Die katholische und die evangelische Gemeinde existieren offiziell gar nicht. Wir werden geduldet. Natürlich weiß der Staat, dass im Istanbuler Stadtteil Nisantasi Gottesdienste gefeiert werden. Aber wir sind keine Rechtspersönlichkeit, auch die Protestanten oder die Orthodoxen nicht. Das Gleiche gilt übrigens für die muslimischen Gemeinden. Die Forderung des Vatikan, die Kirche als Rechtspersönlichkeit anzuerkennen, hat der Innenminister klar abgelehnt.



KNA: Dann müsste der Staat den Muslimen ebenfalls dieses Recht geben...

Butzkamm: Genau so wird argumentiert. Staat und Religion sollen getrennt sein. In der Praxis hält der türkische Staat das jedoch nicht durch. Es gibt in Ankara eine Religionsbehörde, die mehr als 60.000 Angestellte hat. Dazu gehören auch die Imame in der Türkei und in Deutschland. Vorsitzender ist Ministerpräsident Erdogan. Die Behörde schreibt den Imamen unter Umständen vor, was sie zu predigen haben. Es gibt also ein sehr massives Hineinreden in die Religion.



Das Gespräch führte Matthias Nückel.