Adveniat-Bischof Overbeck über das Verhältnis von Klerikern und Laien

"Auch die deutsche Kirche ist lebendig"

Einen Monat nach seiner Lateinamerika–Reise hat sich der Essener Bischof Franz-Josef Overbeck gewünscht, "dass es eine größere Selbstverständlichkeit unter uns allen gibt, die wir Kirche sind, mit Gott zu leben". Gleichzeitig sieht der Adveniat-Beauftragte der Bischöfe im Interview mit domradio.de die deutsche Kirche auf einem guten Weg.

 (DR)

domradio.de: Sie waren erst kürzlich in Lateinamerika. Wie kommt es, dass die Gemeinden dort trotz Priestermangels und geringerer finanzieller Ausstattung so viel lebendiger sind als hier, dass die Gottesdienste so viel besser besucht sind?

Overbeck: Ich war zum ersten Mal in Lateinamerika, dort habe ich eine lebendige Kirche angetroffen. Aber auch die deutsche Kirche ist lebendig. Tradition und der Volkskatholizismus spielen in Lateinamerika eine andere Rolle als zurzeit in der deutschen Kirche.



domradio.de: Könnte das vielleicht auch an einer zunehmenden Entfremdung in Deutschland liegen? Manche machen ja einen Gegensatz aus zwischen den Kirchenoberen und dem Kirchenvolk...

Overbeck: Ich kann diesen Gegensatz nicht bestätigen. Es gibt immer wieder verschiedene Positionierungen. Das gehört zu einer aufgeklärten Gesellschaft, die sich in einem offenen Prozess des Miteinanderringens um den besten Weg befindet, dazu. Als Bischof nehme ich solche Positionierungen nicht nur wahr, sondern vertrete auch gewisse deutlich. Das bedeutet aber nicht, dass wir nicht zusammengehören.



domradio.de: In Deutschland treten die Laienverbände häufig als Kritiker des Klerus oder der Hierarchien auf. Wie haben Sie das Verhältnis von Klerikern und Laien in Lateinamerika erlebt?

Overbeck: Ich habe das Verhältnis als ein sehr herzliches und ein sehr im Glauben verbundenes erlebt, sowohl bei meinen Besuchen in größeren Städten Brasiliens wie auch im Amazonasgebiet, in Kolumbien wie in Venezuela. Dort wurde deutlich, dass der Glaube als selbstverständliches Miteinander vor Gott und mit Gott leben alle Menschen verbindet. Es gibt gleichzeitig eine große, durch die Volksfrömmigkeit getragene Verbundenheit untereinander, die emotional anders gefärbt ist als in Deutschland. Das macht eine gute Stimmung und Atmosphäre aus.



domradio.de: Erst Anfang November haben sich Vertreter der deutschen Bischofskonferenz und des Zentralkomitees der deutschen Katholiken in Bensberg zu einer Konferenz getroffen. Es wurde darüber beraten, wie man künftig besser in einen Dialog treten könnte. Sehen Sie das als ein Zeichen dafür, dass in der Vergangenheit vielleicht doch einiges schief gelaufen ist und dass es nun anders werden könnte zwischen Laien und Klerikern in Deutschland?

Overbeck: Ich sehe diesen Dissens nicht. Es gibt einen Spannungsbogen von verschiedenen Wirklichkeiten, aus dem die Wirklichkeiten beschrieben werden, die uns gemeinsam tragen. Nach dem Missbrauchsskandal, der uns sehr bewegt hat, war der Dialogprozess ein guter Anstoß von uns Bischöfen, deutlich zu machen, dass wir unsere Positionierung in einer offenen Gesellschaft neu und gemeinsam bestimmen müssen. Und dazu gehören alle, die in der Kirche ihren Ort haben, Laien wie Bischöfe wie Priester.



domradio.de: In Lateinamerika haben Sie ein sehr offenes und herzliches Miteinander von Klerikern und Laien erlebt. Wo würden Sie als Geweihter sagen: Davon schneide ich mir eine Scheibe ab für meinen Dienst in Deutschland?

Overbeck: Ich bin ein Mann, der mit beiden Beinen auf der Erde steht und weiß, dass er die Lebenswirklichkeit der deutschen Kirchen mit der Lebenswirklichkeit der sehr großflächigen und auch bunten brasilianischen Kirche zum Beispiel nicht einfach vergleichen kann. Ich würde mir wünschen, dass es eine größere Selbstverständlichkeit unter uns allen gibt, die wir Kirche sind, mit Gott zu leben. Und von daher erst aus einer geistlichen Verbundenheit die Fragen zu besprechen, wo wir unter Umständen auch nicht einer Meinung sind. Das ist etwas, was man in Brasilien sehr spürt: dass es diesen Gegensatz erst mal nicht gibt, sondern das gemeinsame Erleben im Glauben. Das ist, was ich mir hier verstärkt wünschen würde.



Das Gespräch führte Melanie Wielens.