Hilfswerke fordern zum Welternährungstag Ende der Spekulation

Hunger auf dem Vormarsch

Das Spiel hat einen traurigen Hintergrund: Weltweit hungern 925 Millionen Menschen. Nach Fortschritten in den vergangenen Jahren ist der Hunger wieder auf dem Vormarsch. An den Folgen von Unterernährung sterben mehr Menschen als an AIDS, Malaria und Tuberkulose zusammen.

Autor/in:
Christoph Arens
 (DR)

Einmal die Welt retten. Mit "Food Force", einem Computerspiel des Welternährungsprogramms WFP, können Jugendliche in die Rolle humanitärer Helfer schlüpfen und gegen eine Hungersnot auf der fiktiven Insel Sheylan ankämpfen: Per Hubschrauber Flüchtlinge suchen, Hilfspakete abwerfen, weltweit Nahrungsmittel einkaufen und schließlich die Landwirtschaft aufbauen, damit Sheylan sich wieder selbst versorgen kann.



Hunger hat viele Gesichter: Mütter, die ihre ausgezehrten Kinder aus Somalia bis in die Flüchtlingslager nach Kenia oder Äthiopien gebracht haben. Oder die Mutter in Guatemala, die auf ihren Maisbrei verzichtet, damit die Kinder einmal am Tag richtig essen. "Es gibt genügend Lebensmittel für alle. Doch sie sind nicht fair verteilt", beschreibt der Leiter der katholischen Hilfsorganisation Caritas international, Oliver Müller, die Situation. Naturkatastrophen, Bürgerkriege, schlechte Regierungsführung und eine ausgebeutete Umwelt sind wichtige Ursachen für Hunger.



In 26 Ländern "ernste oder gravierende" Situation

Doch auch die Wirtschafts- und Finanzkrise hat die Situation verschärft. Spekulation mit Nahrungsmitteln und Land sowie die Produktion von Energiepflanzen haben die Lebensmittelpreise nach oben getrieben. Nach dem neuesten Welthunger-Index (WHI) müssen die Menschen in den Entwicklungsländern inzwischen mehr als 70 Prozent ihres Einkommens für Lebensmittel ausgeben.



Laut Index ist die Hungersituation in 26 Ländern, vor allem in Afrika, "sehr ernst oder gravierend". Hauptursache für die dramatische Lage sind nach Darstellung der Welthungerhilfe die Regierungen. "Kriege und Konflikte sind ein Garant dafür, dass ein Land auf die rote Liste kommt." Positive Entwicklungen seien fast immer auf Stabilität zurückzuführen, etwa in Ghana oder Brasilien.



Schuld am wachsenden Hunger tragen aber auch die Industrienationen.

"Spekulation ist ein wesentlicher Treiber für schwankende und stark steigende Preise für Mais und Weizen", schreibt der Börsenexperte Dirk Müller, der für das katholische Entwicklungshilfswerk Misereor eine Analyse verfasst hat. Im Mai wurde mit 350 Millionen Tonnen Weizen allein am Handelsplatz Chicago mehr als die Hälfte der globalen Weizenproduktion dieses Jahres virtuell bewegt, berichtet er.



Schnelles Handeln gefordert

Auch Fälle von Landspekulationen häufen sich. Misereor verweist auf Schätzungen, nach denen in den vergangenen zehn Jahren eine Fläche von mehr als 227 Millionen Hektar an ausländische Investoren verkauft wurde, meist in Afrika. Das ist mehr als die achtfache Fläche Deutschlands. Steigende Nahrungsmittelpreise und wachsende Nachfrage nach Bio-Treibstoffen ziehen Wertsteigerungen des Bodens nach sich. "Kleinbäuerliche Betriebe ohne Kaufkraft und Eigentumstitel werden immer häufiger verdrängt", so Benjamin Luig, Misereor-Experte für Agrar- und Landpolitik. Oft stehen diese Flächen dann nicht mehr für die örtliche Nahrungsmittelproduktion zur Verfügung. So kommt es zu der paradoxen Situation, dass in Hungergebieten Lebensmittel für den Export angebaut werden.



Hilfsorganisationen fordern angesichts dieser Situation ein schnelles Handeln der EU und der USA. Die exzessive Spekulation mit Nahrung und Land müsse eingedämmt werden. Caritas international verweist auch auf negative Folgen der europäischen Agrarexporte: Als klassisches Beispiel nennt Müller Tiefkühlhühnchen, die die EU zu Niedrigpreisen an westafrikanische Länder abgebe und damit den dortigen Markt zerstöre. Auch der einzelne Verbraucher ist gefragt:

"Nahrungsmittelgerechtigkeit entscheidet sich auch an der Einkaufskasse", so der Leiter von Caritas international. Die Konsumenten könnten durch den Kauf nachhaltig produzierter Produkte zu mehr Nahrungsmittelsicherheit beitragen.