Anti-Banken-Demonstranten tragen das Konterfei von Guy Fawkes

Mit der Maske des Umstürzlers

Es begann mit einem großen Knall: Guy Fawkes, ein katholischer Fanatiker aus York, versuchte am 5. November 1605, das britische Parlament und die Herrschaft von König Jakob I. mit zwei Tonnen Schwarzpulver in die Luft zu jagen. In diesen bewegten Tagen rund um den "Guy Fawkes Day" erlebt der historische Zündler eine eigentümliche Wiedergeburt.

Autor/in:
Alexander Brüggemann
 (DR)

Das Attentat des 5. November, die sogenannte Pulverfass-Verschwörung gegen die Unterdrückung der Katholiken in England, misslang - und hatte doch schwerwiegende Folgen: Englands größte Minderheit stand fortan über Jahrhunderte unter dem Verdacht des Landesverrats. Erst in den vergangenen Jahrzehnten ist es ihr gelungen, sich einen Platz in der britischen Gesellschaft zurückzuerobern.



Die Demonstranten der sogenannten Occupy-Bewegung, die eine Besetzung der Wall Street propagieren und weltweit gegen die Macht der Banken protestieren, tragen das Gesicht des berühmten Umstürzlers. Denn eines ihrer Markenzeichen ist die Guy-Fawkes-Maske mit dem wahnsinnigen Grinsen. Sie stammt aus dem Comic "V wie Vendetta" des britischen Autors Alan Moore und des Zeichners David Lloyd. Deren Held "V" kämpft - hinter der Maske des Guy Fawkes - gegen einen faschistisch gewordenen britischen Staat. Kein blitzsauberer Supermann, sondern ein ambivalenter Freiheitskämpfer, ein Anarchist und Terrorist.



Umweg "Anonymous"

Auf dem Umweg über das Hacker-Phänomen "Anonymous" - eines weltweiten Kollektivs von Gruppen und Einzelpersonen, das seit 2008 mit Protestaktionen für die Freiheit des Internets sowie gegen Organisationen wie Scientology Schlagzeilen machte - gelangte das stilisierte Konterfei des Attentäters nun zu "Occupy", den Bankengegnern, die seit Wochen öffentliche Plätze in der westlichen Welt besetzen.



Es ist ein Treppenwitz der Geschichte, dass ausgerechnet unter dem Zeichen eines katholischen Attentäters nun eines der wichtigsten Gotteshäuser der anglikanischen Kirche von England ihre Pforten schließen musste - zumindest vorübergehend. St. Paul"s, die Kathedrale des Bischofs von London mitten im Finanzdistrikt, sieht sich seit Wochen einer Stadt von rund 200 Zelten mit Antikapitalisten gegenüber. Aus Sicherheitsbedenken wurde das Gotteshaus zwischenzeitlich geschlossen - ein Einnahmenverlust von rund 18.000 Euro täglich, die eigentlich dringend für den Erhalt des barocken Bauwerks benötigt würden. Zuvor hatten bereits das Souvenirgeschäft und das Restaurant von St. Paul"s wegen fast vollständigen Umsatzeinbruchs ihren Betrieb eingestellt.



Wiederholt forderte die Kirchenleitung die Demonstranten auf, ihr Camp selbst zu räumen, und drohte zwischenzeitlich sogar mit rechtlichen Schritten. Gleichwohl steht sie dem Anliegen der Okkupanten gar nicht fern: Er teile viele der Bedenken hinsichtlich einer gesellschaftlichen Gier, ließ etwa der Hausherr, der Londoner Bischof Richard Chartres, verlauten. Auch wenn die Kirchenleitung nicht für eine politische Seite Partei ergreife, werde sie die Kathedrale als Ort für eine "sinnvolle Debatte" zur Verfügung stellen.



Zeichen auf Entspannung

Und auch der anglikanische Primas, Erzbischof Rowan Williams von Canterbury, lenkte ein: Es gebe eine allgemeine Auffassung, dass die Gesellschaft für die "Fehler und Verantwortungslosigkeit" der Finanzinstitute zahlen müsse, schrieb er in einem Beitrag für die "Financial Times". Die Kirche habe ein großes Interesse an mehr Moral in der Welt der Finanzen.



Inzwischen stehen die Zeichen auf Entspannung: Bischof Chartres kündigte an, der Investmentbanker Ken Costa solle im Auftrag der Kathedralverwaltung eine Initiative starten, um Finanzwelt und Ethik wieder miteinander zu verbinden. Dabei solle er mit Vertretern der "City", der Kirche und anderen Persönlichkeiten zusammenarbeiten. Man habe die Alarmglocken der Demonstranten in St. Paul"s gehört. Pulverfass-Verschwörung und "Occupy"-Bewegung, sie haben eben doch nur scheinbar dasselbe Gesicht.