Ein deutscher Sozialarbeiter im Herzen des Rote-Khmer-Gebiets

Das Pfarrzentrum im Reich der Volksmörder

Einen einzigen Deutschen gibt es in Pailin, Kambodscha: Bernhard Tremmel. Der Sozialpädagoge, geboren 1948 in Speyer, leitet das dortige katholische Pfarrzentrum. Er wolle "da sein, wo die Not am größten ist", sagt er: "Die Roten Khmer haben in Pailin ganze Arbeit geleistet: Religion, Bildung und Erziehung galten ihnen als feindlich und wurden plattgemacht."

Autor/in:
Michael Scholten
Bernhard Tremmel und eine Gruppe von Kindern vor der neuen Kirche der Pfarrgemeinde in Pailin. (KNA)
Bernhard Tremmel und eine Gruppe von Kindern vor der neuen Kirche der Pfarrgemeinde in Pailin. / ( KNA )

Pailin gilt bis heute als geheimnisumwitterter Ort im Westen Kambodschas. Es ist das Rückzugsgebiet der Roten Khmer. Die Volksmörder um Diktator Pol Pot hatten Kambodscha 1975 in ein riesiges Arbeitslager verwandelt, alle Banken, Klöster und Schulen zerstört und rund zwei Millionen Menschen getötet. Ab 1979 drängten die vietnamesische Armee und später die Truppen der neuen Regierung die Roten Khmer bis Pailin an der Grenze zu Thailand zurück. Doch auch von dort aus setzten sie ihren Terrorkampf mit landesweiten Anschlägen fort.



1996 schloss Ministerpräsident Hun Sen mit den Feinden einen zweifelhaften Frieden: Die Roten Khmer gaben ihre Waffen ab, erhielten im Gegenzug Straffreiheit und durften die Edelsteine und Edelhölzer der Provinz Pailin exklusiv vermarkten. Viele ranghohe Funktionäre wurden zu Millionären, während das Gros der 30.000 Einwohner bis heute in Armut lebt.



Ein Leben mit den Tätern

Während Touristen in Kambodscha meist auf Menschen treffen, die unter den Roten Khmer gelitten haben, lebt Tremmel mit den Tätern.

"Sie sind durch eine politische Epoche gegangen, die sie charakterlich vollkommen umgewandelt hat. Sie sind sehr zurückhaltend, lachen kaum - und werden noch viele Jahre brauchen, bis sie zu ihrer früheren Kultur zurückfinden."



Nach mehr als 20 Arbeitsjahren in bayerischen Internaten kam Tremmel über Projekte in Irland und Simbabwe nach Kambodscha. In Phnom Penh lernten er und zwei Kollegen, ein Australier und ein Ghanaer, ein Jahr lang die Khmer-Sprache. Die drei Pädagogen zogen in die westliche Provinz Battambang, deren Bischof sie sogleich in die "Problemzone" Pailin entsandte. "Als wir 2009 ankamen, gab es in der Provinz gerade mal 40 Katholiken", erzählt Tremmel. "Es geht uns nicht darum, Leute zu bekehren. Wir würden niemals sagen: "Du musst katholisch werden, dann kriegst du einen Sack Reis!" Aber wir leisten soziale Arbeit - weshalb die katholische Kirche bei den Kambodschanern hoch angesehen wird."



Die drei "Barangs", Langnasen, wie Ausländer in Kambodscha genannt werden, haben seit 2009 viel geleistet: Mit örtlichen Arbeitern verwandelten sie 2,5 Hektar verwilderten Geländes in ein gepflegtes Grundstück mit Sportplätzen, Gemüsebeeten und Obstgärten. Pfarrhaus und Kirche wurden mit Spenden finanziert. Das Gotteshaus hat keinen Glockenturm, sondern ähnelt einem buddhistischen Tempel. "Wir passen uns an die Menschen an und zerstören keine alten Traditionen", so Tremmel.



Volle Gottesdienste

Über mangelnden Zuspruch könne sich die Kirche nicht beklagen. "Zu jedem Gottesdienst kommen bis zu 300 Besucher, mit einem Durchschnittsalter von vielleicht 20 Jahren!" Viele Angebote richten sich an Kinder und Jugendliche. "In ihren Familien erfahren sie kaum Aufmerksamkeit", sagt der Pädagoge: "Die jungen Eltern haben selbst keine richtige Erziehung erhalten, weil die Roten Khmer die Familien auflösten und die Kinder in Kollektiven aufwuchsen."



Gern würden Tremmel und seine Kollegen eine private Schule gründen - als Alternative zu den schlecht ausgestatteten staatlichen Schulen. Doch das Gesetz erlaubt es nicht. Als Ausweg haben sie das "MEC House" gegründet, in dem mehr als 100 Kinder nach Schulschluss Nachhilfe in Englisch und Informatik erhalten. Das Jahresbudget von 6.500 Dollar wird weitgehend durch Spenden aus Deutschland getragen. Die drei kambodschanischen Lehrkräfte haben ein Monatsgehalt von 100 Dollar und eine klare Ansage: keine Prügelstrafe! "Wegen der fehlenden Erziehung tun und lassen die Kinder, was sie wollen", berichtet Tremmel. "In anderen Schulen gibt es was auf die Finger; bei uns nicht."



Und anders als an staatlichen Schulen wird im "MEC House" auch die blutige Geschichte der Roten Khmer thematisiert. Denn das Trauma liegt wie ein Fluch über Pailin. "Oft leben die Angehörigen der Opfer neben den Tätern", so Tremmel. "Doch sie dürfen den Mörder ihrer Angehörigen nicht anzeigen, weil er sich auf die Amnestie berufen kann und kein Gericht den Fall annehmen wird. Das treibt viele in den Wahnsinn - oder zum Alkohol."