domradio.de: Was halten sie von diesem Fall, der da an die Weltöffentlichkeit gelangt ist?
Schedler: Der Fall, bei dem viele Details noch gar nicht bekannt sind, zeigt auf jeden Fall, dass in Pakistan die religiösen Minderheiten und gerade die ungefähr drei Millionen Christen einen sehr schweren Stand haben. Sie leiden immer wieder unter Gewalt durch muslimische Extremisten und die Blasphemiegesetze, ohne die die Prozesse gegen Christen gar nicht möglich wären und gegen andere religiöse Minderheiten schüren zusätzlichen Hass auf religiöse Minderheiten.
domradio.de: Was konkret verbietet das pakistanische Blasphemiegesetz?
Schedler: Das Blasphemiegesetz wurde in den 80er Jahren eingeführt. Bei einer Beleidigung des Propheten Mohammeds kann es bis zur Todesstrafe kommen, sie wurde bis jetzt noch nicht ausgeführt. Aber vor zwei Jahren wurde eine Christin zum Tode verurteilt, die Todesstrafe wurde aber nicht ausgeführt.
Menschen werden dafür belangt, wenn sie den Propheten Mohammed beleidigt haben sollen. Ohne dass genau definiert wird, was denn eine Beleidigung ausmacht. Das Problem mit diesem Gesetz ist unter anderem auch, dass es immer wieder dazu genutzt wird, um persönliche Streitigkeiten zu schlichten.
domradio.de: Zur Festnahme des Kindes und seiner Mutter ist es bereits am Donnerstag gekommen. Aus Angst vor Racheakten von Muslimen sind offenbar rund 300 Christen aus dem Slum Meherabadi geflohen, um an anderen Orten in der Hauptstadt Islamabad Schutz zu suchen. Welches Licht fällt bei diesem Fall auf die Rechtsstaatlichkeit Pakistans?
Schedler: Das zeigt auf jeden Fall, dass der Rechtsstaat in Pakistan dringend reformbedürftig ist und dass es ein solch schlimmes Gesetz ist, das so missbraucht werden kann, dass unbedingt abgeschafft werden muss. Es zeigt einfach, dass in Pakistan die Menschen, die sich für Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und religiösen Pluralismus einsetzen, einen sehr schweren Stand haben und dass dieses Gesetz sehr schnell zu solchen Situation wie dort führt, wo dann so ein Mob kommt, der Christen bedroht, die dann flüchten müssen.
domradio.de: Was muss man denn befürchten, wenn es um den Fall des angeklagten Kindes geht?
Schedler: Es gibt widersprüchliche Aussagen. Die einen sagen, das Kind ist behindert, die anderen sagen, es ist nicht behindert. Aber auf jeden Fall zeigt es, dass selbst die Schutzlosen unter 18 Jahren und dazu eventuell sogar noch Behinderte ausgenutzt werden, um praktisch Hass auf Minderheiten zu schüren. Das ist sehr schlimm.
domradio.de: Kann es sein, dass man diesem Kind die verbrannten Koranseiten untergeschoben hat?
Schedler: Das kann man nicht ausschließen, aber wie viele andere Details muss das noch geklärt werden. Es gibt eine Eigendynamik, selbst wenn noch nicht bekannt ist, was passiert ist, gibt es schon Mobs, Leute, die flüchten müssen, die wahrscheinlich nicht mehr zurückkommen können und das zeigt einfach, dass dieses Blasphemiegesetz eine Schande für den Rechtsstaat ist.
domradio.de: Angeblich hat Staatspräsident Zardari eine Untersuchung dieses Falles angekündigt. Aber schon seit vier Jahren hat die Regierung Änderungen des Blasphemiegesetzes zugesagt, die offenbar noch immer ausstehen. Was konkret fordert die Gesellschaft für bedrohte Völker?
Schedler: Wir fordern, wie viele andere Organisationen auch, dass das Blasphemiegesetz abgeschafft wird, weil es einfach zu leicht missbraucht werden kann von Extremisten. Das Problem ist, dass zum Beispiel im letzten Jahr ein Gouverneur der Provinz Punjab ermordet wurde, nachdem er sich für eine verurteilte Christin eingesetzt hatte und im März letzten Jahres wurde der pakistanische Minister für Minderheiten ebenfalls ermordet. Es gibt eine große Angst, auch in Politik und Justiz. Man möchte sich nicht gegenüber muslimischen Extremisten exponieren und zu offensiv für eine Reform oder Abschaffung eintreten.
Das Interview führte Monika Weiß (domradio.de)
Hintergrund
Nach der Festnahme eines geistig behinderten pakistanischen Mädchens unter Blasphemievorwürfen hat der Weltkirchenrat ein Hearing zu der Frage anberaumt. Die Experten-Anhörung finde vom 17. bis 19. September in Verbindung mit der 21. Sitzung des UN-Menschenrechtsrates in Genf statt, teilte die ökumenische Organisation am Mittwoch mit. Zur Lage religiöser Minderheiten in Pakistan und zu einer missbräuchlichen Anwendung des Blasphemie-Paragrafen sollen sich Sprecher von Glaubensgemeinschaften und Menschenrechtsorganisationen sowie Vertreter der UN und der pakistanischen Regierung äußern.
Veranlasst sei das Sondertreffen durch die "sich verschlechternde Menschenrechtslage für Minderheiten in Pakistan und den Missbrauch des Blasphemiegesetzes", sagte Mathews George Chunakara, Direktor der Ratskommission für Internationale Angelegenheiten (CCIA). Die ökumenische Anwaltschaft solle entsprechenden Initiativen mehr Nachdruck verleihen. Zudem solle das Hearing den betroffenen Minderheiten eine Plattform bieten, um sich international und beim UN-Menschenrechtsrat Gehör zu verschaffen.
Berichten zufolge hatte das Christenmädchen Rimsha Masih, eine Elfjährige mit Down-Syndrom, am Mittwoch vergangener Woche in Meharabad mehrere Seiten des Koran verbrannt. Daraufhin wurden das Kind, seine Mutter und eine Schwester von einer Menge tätlich angegriffen. Mehrere Häuser von Christen gingen in Flammen auf, rund 300 Christen flohen. Das Mädchen und seine Mutter kamen in Polizeigewahrsam, der Imam der Moschee von Meharabad wurde wegen Aufstachelung zu Gewalt festgenommen. Dem Kind droht theoretisch die Todesstrafe.
Pakistans Staatspräsident Asif Ali Zardari hatte kurz nach dem Vorfall eine Untersuchung angeordnet. Unter anderem die Vereinigten Staaten und Frankreich verurteilten die Festnahme des Mädchens. Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International forderte Pakistan auf, die Blasphemiegesetzgebung zu revidieren.
Das pakistanische Blasphemiegesetz verbietet, heilige Gegenstände oder Stätten zu zerstören, zu beschädigen oder zu entehren. In den Schutz eingeschlossen sind der Koran und der Prophet Mohammed. Übertretungen können mit Strafen bis zu lebenslanger Haft und Hinrichtung geahndet werden.