Der Strom syrischer Flüchtlinge überfordert Jordaniens Bevölkerung

Den Winter vor den Zelten

Mehr als 210.000 Menschen sind inzwischen vor dem blutigen Konflikt in Syrien nach Jordanien geflohen, ein Ende des Stroms ist nicht abzusehen. Das belastet zunehmend auch die Bevölkerung. Und die Situation wird sich wohl weiter zuspitzen.

Autor/in:
Andrea Krogmann
 (DR)

Es ist ruhig im Caritas-Zentrum im nordjordanischen Mafraq. Geduldig warten einige Dutzend syrische Flüchtlinge, bis sie an der Reihe sind. Bettdecken und Hygiene-Sets werden an diesem Tag verteilt, gestiftet vom Zentralkomitee der Mennoniten. "Ab November können die Temperaturen hier auf Minusgrade fallen, und es mangelt den Menschen an Heizungen oder Decken", erklärt der Projektverantwortliche Hussam Nasraween. Der bevorstehende Winter und der nicht enden wollende Flüchtlingsstrom stellen das Caritas-Team vor große Herausforderungen.



Auch sonst mangelt es den Flüchtlingen an Vielem: Kleidung, Essen, Geld für die Miete, Babymilch oder Windeln. Wer nicht zu den rund 100.000 offiziell beim UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR Registrierten gehört, hat es besonders schwer: Das öffentliche Gesundheits- und Bildungssystem und viele Hilfsleistungen bleiben ihm verschlossen. Die gröbsten Lücken versucht Caritas Jordanien in ihren Zentren in mehreren Städten des Landes zu überbrücken. "Unsere Zentren sind für die Menschen vor Ort - und die syrischen Flüchtlinge sind ein Teil von ihnen", erklärt Jameel Dadabneh, Nothilfe-Verantwortlicher von Caritas Jordanien.



Vor allem Frauen und Kinder sind vor den täglichen Angriffen aus Syrien geflohen. Das Trauma des Erlebten ist vielen von ihnen anzumerken. "Wir müssen Assad töten, weil er sonst alle tötet", sagt der kleine Muayad. Noch ein Jahr nach der Flucht, erzählt seine Mutter Hawyie, schreckt der Vierjährige bei jedem Lärm zusammen.



Psychische Wunden

Neben den sichtbaren Verletzungen hinterlässt der gewaltsame Konflikt vor allem psychische Wunden, betont Rafal, der als Volontär von Caritas Polen entsandt wurde. Als Teil der Normalisierung, sollten die Kinder zur Schule gehen, meint er. Doch auch wenn Jordaniens staatliche Schulen für vom UNHCR registrierte Flüchtlingskinder offenstehen: "Vielfach können sie sich selbst das symbolische Schulgeld nicht leisten." So gut es geht, versuchen die Caritas-Mitarbeiter diesen Kindern mit einem informellen Bildungsprogramm weiterzuhelfen.



Hawyie ist froh um diese Unterstützung. Ihre Söhne haben über das Bildungsprogramm ein paar Freunde gefunden - auch wenn der 15-jährige Abd el Hamid natürlich so schnell wie möglich zurück nach Syrien möchte: "Das ist doch meine Heimat und mein Zuhause."



Auch Ghazwa ist froh um die Hilfe, die sie in Mafraq erhält; froh, dass sie ihre Geschichte jemandem erzählen kann. Vor sechs Monaten ist sie aus Homs nach Jordanien geflohen; allein, nachdem ihr Haus bei einem Angriff von Regierungstruppen zerstört wurde. Mit ihrer Familie in Syrien hat sie seither keinen Kontakt herstellen können. Ihren Familiennamen will die 70-Jährige nicht verraten - zu groß ist die Angst vor dem syrischen Regime.



Bei vielen syrischen Flüchtlingen geht die Furcht vor syrischen Repressionen soweit, dass sie sich nicht beim UNHCR als Flüchtlinge registrieren lassen, berichtet Jameel Dababneh. Nur etwa jeder zweite ist offiziell verzeichnet - und dabei ist die Angst vor den Schergen Baschir al-Assads nur ein Grund, wie der Jordanier betont: "Die Menschen haben Angst, nicht wieder in ihre Heimat zurückgehen zu können. Viele wollen nicht als Flüchtlinge gelten, und manche benötigen auch schlicht keine Unterstützung."



"Das jordanische System ist schon ohne die Syrer überlastet", erklärt Jameel Dadabneh. Offiziell arbeiten dürfen die meisten Flüchtlinge nicht; als "gute Handwerker und Arbeiter" seien sie dennoch manchenorts gern gesehen. Auch wenn viele Jordanier die Flüchtlinge bislang freundlich aufgenommen haben: "Die wirtschaftliche Lage im Land ist gespannt, die Preise auf dem Wohnungsmarkt steigen massiv an. Jordanien ist gesättigt."