Mexiko-Stadt droht eine Wasserkrise

Eine Metropole geht unter

Viele Gebäude stehen schon bedenklich schief. Denn Mexiko-Stadt sinkt unaufhaltsam. Die 20-Millionen-Metropole verbraucht zu viel Wasser - und schafft es kaum, das Abwasser abzuleiten. Der Hauptstadt droht eine ernsthafte Wasserkrise.

Autor/in:
Matthias Knecht
 (DR)

Die ersten Europäer, die vor rund 500 Jahren Tenochtitlán sahen, nannten die Stadt das Venedig Amerikas. Von den Höhen des Vulkans Popocatépetl erblickten die anrückenden spanischen Eroberer einen atemberaubenden See von der Größe des Saarlands. Mittendrin auf einer Insel lag die Aztekenhauptstadt, das heutige historische Zentrum von Mexiko-Stadt. Schon damals war das Trinkwasser knapp, und die Spanier konnten das Problem von weitem erkennen: Tenochtitlán wurde mit aufwendigen Aquädukten aus dem Umland versorgt.

Heute zählen die Hauptstadt und die umliegenden Gemeinden im Hochtal von Mexiko mehr als 20 Millionen Einwohner und bilden damit eine der größten Metropolen der Welt. Jedes Jahr kommen etwa 300.000 weitere Bewohner dazu. Vom einstigen See sind nur noch ein paar Tümpel übrig. Stattdessen erstreckt sich ein 7.800 Quadratkilometer großes Häusermeer. Auch heute sieht man von weitem, dass das Wasser knapp ist, nämlich schon im Landeanflug: Auf jedem Gebäude steht ein schwarzer Wassertank, in dem die Bewohner Trinkwasser speichern. So fließt auch noch Wasser aus dem Hahn, wenn die Leitungen wieder einmal nichts hergeben.

62.000 Liter Trinkwasser pro Sekunde

Fernando González beschäftigt sich seit Jahrzehnten mit der Wasserversorgung von Mexiko-Stadt. "Es ist ein Wunder, dass sie überhaupt funktioniert", sagt der Ingenieur aus Anlass des Weltwassertags am 22. März. González leitet eine Expertenkommission zum Thema Wasser an der Nationalen Autonomen Universität von Mexiko. "Ungefähr alle 25 Jahre durchleidet Mexiko-Stadt eine große Wasserkrise, und das seit 500 Jahren", fasst er zusammen.

62.000 Liter Trinkwasser pro Sekunde benötigt Mexikos Hauptstadt. Das ist mehr als zehn Mal so viel wie etwa Berlin. Rund drei Viertel des Bedarfs pumpt die Stadt aus dem Grundwasser. Fast der gesamte Rest kommt aus Cutzamala, einem von González einst entworfenen, gigantischen Stauseesystem nördlich der Hauptstadt. Es schafft das Trinkwasser über 127 Kilometer Entfernung und 1.102 Meter Höhendifferenz heran. Doch auch das reicht kaum noch aus.

"Es mehren sich die Anzeichen für eine ernsthafte Wasserkrise", mahnt Adriana Palma, eine der Forscherinnen in González' Institut. Sie weist auf die dramatischen Folgen des Wasserverbrauchs hin. In den letzten 100 Jahren pumpte Mexiko-Stadt 16 Milliarden Kubikmeter aus dem Boden, etwa ein Drittel des Volumens des Bodensees. In der Folge sank die gesamte Stadt um etwa neun Meter ab. Gemäß Palma wird die Metropole in den kommenden 40 Jahren um weitere sechs Meter sinken. «Wir müssen mit dem Pumpen aufhören», fordert die Ingenieurin darum. Doch das ist unrealistisch. Die Hauptstadt würde sofort verdursten.

Wassertunnel der Superlative

Mehr als einen Zentimeter sinkt der Grund im Monatsdurchschnitt. Das lässt nicht nur viele historische Gebäude im Zentrum schwindelerregend windschief werden. Zunehmend schwierig wird es, das Wasser aus dem ehemaligen Seebecken wieder abfließen zu lassen. Seit der Kolonialzeit baut Mexiko-Stadt dafür immer größere Kanäle und Tunnel. Doch sie haben inzwischen ihre Fließrichtung geändert. Nur ein riesiges Pumpwerk im Norden der Metropole verhindert heute, dass all das, was die Einwohner den Abfluss herunterlassen, wieder ins Zentrum zurückfließt.

Derzeit baut Mexiko-Stadt darum einen neuen Wassertunnel der Superlative - ausgelegt für die Fäkalien von 20 Millionen Menschen, plus einiges an Regenwasser. Wenn der Abwassertunnel wie vorgesehen im Jahr 2016 fertig ist, wird er mit 62 Kilometern der längste der Welt sein. Die Regierung verspricht, damit alle Wasserprobleme dauerhaft gelöst zu haben. Doch González bezweifelt das. "Kaum lösen wir ein Problem, schaffen wir zugleich drei andere", resümiert er seine Arbeit der letzten Jahrzehnte. Für den Ingenieur gibt es nur eine Lösung: das Bevölkerungswachstum endlich stoppen. Aber auch das scheint ihm unrealistisch: "Die Großstädte wachsen, wie sie wollen."


Quelle:
epd