20 Jahre Freizeiten im früheren KZ Bergen-Belsen

Samba am Schreckensort

Rund 50 Jugendliche aus neun Nationen setzen sich noch bis Gründonnerstag mit der Geschichte des ehemaligen Kriegsgefangenen- und Konzentrationslagers Bergen-Belsen auseinander. Die Eindrücke vor Ort gehen tiefer als jeder Unterricht.

Autor/in:
Karen Miether
 (DR)

Auf einem breiten Betonweg hält Gesa Lonnemann an. "Hier war der Appellplatz des Konzentrationslagers Bergen-Belsen", erläutert die 22-Jährige. Sie berichtet Jugendlichen aus neun Ländern, wie von Hunger und Durst entkräftete Menschen stundenlang dort stehen mussten. Dor Engel aus Israel denkt beim Blick über das Gelände mit schneebedeckten Massengräbern an seinen Urgroßvater, der das Lager bei Celle überlebte. "Es ist unvorstellbar, wie lebensfroh er immer noch war", sagt der 16-Jährige.

Seit 20 Jahren laden kirchliche und gewerkschaftliche Verbände Jugendliche zu internationalen Workcamps nach Bergen-Belsen ein. Die jungen Frauen und Männer kommen unter anderem aus Russland, Polen, den Niederlanden und aus Südafrika - und bringen ganz unterschiedliche Erfahrungen mit. Dor Engel setzt sich noch viel mit dem Völkermord an den Juden auseinander. "Der Holocaust prägt bei uns einen großen Teil der Kultur", sagt der Israeli.

Tebogo Lomo aus Südafrika ist die Geschichte des Lagers Bergen-Belsen dagegen fast ebenso neu wie der Schnee, der erstmals im Leben unter seinen Schuhen knirscht. Knapp 20 Jahre nach der Politik der Rassentrennung in seiner Heimat ist er mit diesem Thema jedoch noch vertraut. "Ich dachte, die Apartheid wäre sehr schrecklich. Mir war nicht klar, wie viel Schreckliches hier war. Das bewegt mich", sagt der 19-Jährige.

"Junge Menschen wollen die Wahrheit wissen"

Bei der Freizeit bis kurz vor Ostern diskutieren die Jugendlichen auch über die aktuelle Asylpolitik. "Ein spannender Austausch. Man wird sensibler für Diskriminierung im Alltag", sagt die Leiterin Sarah Vogel. Die Erfahrungen gehen tiefer als jede Geschichtsstunde, darin sind sich die Jugendlichen einig.

Yvonne Koch trägt dazu wesentlich bei. Die 79-Jährige erzählt, wie sie als Zehnjährige allein nach Bergen-Belsen verschleppt wurde. Erst spät im Leben hat sie angefangen, darüber zu sprechen. Noch immer ist die Mikrobiologin mit internationaler Forschungskarriere dann aufgeregt: "Das belastet mich unheimlich. Die Erinnerungen, das Extreme, was ich durchgemacht habe, liegt dann vor mir, ist so nah." Dass sie dennoch extra aus Düsseldorf angereist ist, liegt am großen Interesse der Jugendlichen: "Junge Menschen wollen die Wahrheit wissen."

Einen gemeinsamen Rhythmus finden

Im April ist es 70 Jahre her, dass die SS das Konzentrationslager einrichtete, in dem rund 52.000 Menschen umkamen. Schon vorher starben 20.000 Kriegsgefangene in Bergen-Belsen. Im Lager habe es keine Solidarität gegeben, berichtet Yvonne Koch. "Es war wie im Urwald, der Stärkere überlebt." Nur eine Frau verhielt sich anders. Sie schenkte dem hungernden und frierenden Mädchen etwas zu Essen und Handschuhe. Yvonne Koch hütete das Paar wie andere Kinder ihren Teddy.

Eine humane Grundhaltung sei das, worauf es ankomme, sagt die 79-Jährige. Sie warnt vor Pauschalurteilen: "Die kommen zustande, wenn Menschen sich nicht wirklich auseinandersetzen wollen." Heute sind ihre Handschuhe Teil der Ausstellung in Bergen-Belsen. Im Dokumentationszentrum werden auch Alltagsgegenstände von Häftlingen wie ein Löffel oder Reste von Schuhen gezeigt. Die Jugendgruppen haben sie auf dem Gelände ausgegraben.

Nach der Neugestaltung der Gedenkstätte sind solche Arbeiten nicht mehr möglich. Beim Reden bleibt es trotzdem nicht. Mit Malerei, Fotografie oder in Gedichten stellen die Jugendlichen dar, was sie bewegt. Beim Trommeln und Sambatanzen versuchen sie, über Grenzen der Sprachen und Kulturen hinweg einen gemeinsamen Rhythmus zu finden, sagt Sarah Vogel: "Es wächst ein Gemeinschaftsgefühl."


Quelle:
epd