Ein niederländischer Protestant hütet katholische Frömmigkeit

Der Calvinist, der was vermisst

Gert de Weerd hat seine Sammelleidenschaft zum Beruf gemacht - und ein Kloster als Museum zu neuem Leben erweckt. Dabei scheint er eigentlich denkbar ungeeignet, katholische Heiligenfiguren des 19. Jahrhunderts zu sammeln.

Autor/in:
Alexander Brüggemann
Museumseinweihung: ungleiche Paten / © museum vaals
Museumseinweihung: ungleiche Paten / © museum vaals

"Sie glauben gar nicht, wie gut geklaute Äpfel und Birnen schmecken!" Annie und ihre Freundin, beide um die 60, fühlen sich sichtlich wohl. Sie weisen hinüber zum Klostergarten: "Und da haben sie am allerbesten geschmeckt." Die beiden sind hier aufgewachsen, eine Kindheit in unmittelbarer Nachbarschaft zur Kirche, zum Kamillianerkloster von Vaals, dem niederländischen Grenzort bei Aachen. Doch eines Tages machte das Kloster in der traditionell katholischen Provinz Limburg dicht: Überalterung, Nachwuchsmangel, wie an so vielen Orten. Zurück blieben die Kindheitserinnerungen - an die Ordensleute und an die leckeren Äpfel.

Dass Annie und ihre Freundin heute wieder hier auf dem Klostergrund sitzen können, im Cafe "De Zwarte Madonna", das verdanken sie Gert de Weerd. Der 53-Jährige hat seine Sammelleidenschaft zum Beruf gemacht - und das Kloster als Museum zu neuem Leben erweckt. Dabei scheint de Weerd eigentlich denkbar ungeeignet, katholische Heiligenfiguren des 19. Jahrhunderts zu sammeln. Ein reformierter Christ aus der Gegend von Amsterdam, von Haus aus Finanzbuchhalter und also eigentlich mehr dem Handfesten als dem verzückt himmelwärts Schauenden verpflichtet. Doch der schlichte Mann im schlichten T-Shirt sagt schlicht: "Ich mag den Frieden in ihrem Blick. Sie machen die Menschen leise."

Die Heiligen aus bemaltem Gips sind Kreaturen des Wiederaufbaus nach den Verheerungen der Französischen Revolution. In zahllosen Kirchen Frankreichs, Belgiens, der Niederlande und des linken Rheinlands wütete der "Geist der Vernunft" unter den gotischen und barocken Heiligendarstellungen und Plastiken aus Holz. Kircheneinrichtungen wurden zerschlagen oder verhökert, und nach 1800 präsentierten sich viele Gotteshäuser verwahrlost und leer. Zudem wurden angesichts des starken Bevölkerungswachstums im Zuge der Industriellen Revolution zahlreiche neue Kirchen gebaut.

Verklärte Heiligenstatuen

Der Zeitgeschmack von Romantik und Historismus und die unbedingte Rom- und Papsttreue nach der Verfolgungszeit beförderten im Zusammenspiel mit industrieller Serienproduktion den Typus verklärter Heiligenstatuen. Ihre Ikonographie war eingängig, trugen sie doch als Attribute die Folterwerkzeuge ihres Martyriums, den Himmelsschlüssel oder andere bildliche Zuschreibungen, die der gläubige Mensch in dieser Zeit noch selbstverständlich identifizieren konnte: als Sebastian, als Petrus, Veronica, Expeditus, als Pfarrer von Ars, Felicitas und Perpetua.

Ab etwa 1850 prägten die Gipsfiguren katholische Kirchenräume - bis zu einer weiteren "Kulturrevolution". Das Zweite Vatikanische Konzil (1962-1965) brachte ein neues Verständnis von Kirche und Liturgie mit sich. Die Gemeinde als "Volk Gottes" auf dem Weg durch die Zeit feierte gemeinsam mit dem Priester die Gegenwart Christi. Der Gedanke der Messe als mystisches "heiliges Spiel", das dem einfachen Kirchenvolk präsentiert wurde, trat zurück. Dies sorgte einerseits für eine Hochzeit kirchlicher Kunst in Architektur, Plastik, Malerei. Anderseits sorgte es für einen wahren Bildersturm.

Ausdrucksformen des hergebrachten Katholizismus wurden nun als verzopft und altmodisch empfunden, viele Kirchenausstattungen mit mehr oder weniger Pietät entsorgt. Gerade im niederländischen und französischen Sprachraum konnte man seit den späten 1960er Jahren in Kneipen, Diskotheken oder Partykellern Beichtstühle und Heiligenfiguren wiederfinden. Und hier kommt Gert de Weerd ins Spiel.

Jesuskind zwischen Trödel

Auf einem Trödelmarkt fand er ein Jesuskind - und empfand, dass er es dort nicht lassen konnte. "Das gehörte da nicht hin. Lieber wollte ich meiner Großmutter damit eine Freude machen." 200 Gulden bezahlte er, heute umgerechnet etwa 90 Euro. Doch die Großmutter war keineswegs erfreut, sondern wütend! Der Calvinismus ist die strengste Form des traditionellen Protestantismus. Heiligenstatuen? Können eigentlich nur des Teufels sein. Doch auf Gert de Weerd übten sie eine starke Anziehungskraft aus: "Diese Figuren berühren die Menschen - und das berührt mich auch."

1987 begann er zu sammeln, immer systematischer. Aus dem Hobby wurde Profession - und am Ende gar sein Broterwerb. Er wagte den großen Sprung, gab seine Existenz in der Finanzbranche auf - und kaufte die Klosteranlage von Vaals mitsamt ihrem Renovierungsstau. Über 17 Monate wurden die Gebäude nach und nach frisch gemacht, das gesamte Vermögen hineingesteckt: in die Kapelle von 1908; das Haupthaus, einst Villa eines Nadelfabrikanten, die heute einen Standesamtssaal, Konferenz- und Versammlungsräume beherbergt; Böden, Dachstühle, Elektrik; das Museumscafe; die 1,7 Hektar große Parkanlage mit Werken zeitgenössischer kirchlicher Kunst.

Das Prunkstück von allem ist jedoch die Kapelle, Gerts Ausstellungsraum. Ein atemberaubender Anblick für den Eintretenden: 250 Heiligenfiguren, zwischen einem und 3,50 Meter hoch, zur Rechten und zur Linken im Kirchenschiff. Im Chorraum ein gekreuzigter Christus als Liegendfigur. "Die Heiligen bilden einen Weg zu Jesus", kommentiert die zwölfjährige Lena, eine Besucherin. Die Theologie des Arrangements erschließt sich offenbar wie selbstverständlich.

Neue Heimat und Würde

Gert de Weerd hat ein inniges Verhältnis zu seinen Figuren - aber auch durchaus Humor dabei. "Wie im Fußballstadion" habe er sie zu Beginn aufgestellt. Das Statische habe ihm dann nicht mehr gefallen. "Jetzt stehen sie zwar immer noch wie im Stadion, aber in der Pause. Jeder macht sein Ding." In der Tat ist viel Bewegung in der Gruppe. Sie scheinen sich zu unterhalten, zu gestikulieren - als unterhielten sie sich über die vergebenen Großchancen ihrer Mannschaft. "Es wäre besser, die Katholiken würden sich selbst um dieses Erbe kümmern", sagt Gert de Weerd achselzuckend. "Schade, dass ich das als Reformierter machen muss" - ein nicht praktizierender Calvinist, der katholischen Heiligenfiguren eine neue Heimat und neue Würde gegeben hat.

Rund 15.000 Besucher pro Jahr sind ein Zeichen dafür, dass es genügend Menschen gibt, die sich von Geerts Idee und Leidenschaft ansprechen lassen. Und zum Schluss des Rundgangs können sie im Cafe "De Zwarte Madonna" bei belgischem Klosterbier, surinamischer Musik und traditioneller limburgischer Küche Gerts Erstlingsfund, das Jesuskind, und einen hölzernen Beichtstuhl bewundern. Annie und ihre Freundin freuen sich hier über das Wiedersehen mit ihrer heilen Kindheit: "Es ist toll, wir kommen so oft her!"


Quelle:
KNA