Drahtseilakt zwischen Tod und Totenkult

"Kulturgut Mumie"

In der Gruft einer Dorfkirche bei Magdeburg hat die Natur die Körper von sieben Menschen jahrhundertelang vor dem Verfall bewahrt. Zwei Mumien werden jetzt ausgestellt. Für Experten ist es eine Sensation, für die Macher ein Drahtseilakt.

Autor/in:
Sabrina Gorges
Nedlitzer Mumie (dpa)
Nedlitzer Mumie / ( dpa )

Johanna Juliane Pforte trägt ein dunkles Kleid mit Tränenmuster, ein weißes Hemd mit Spitze und ein zur Schleife gebundenes Tuch um den Hals. Ihre Hände liegen in ihrem Schoß, den Kopf hat sie leicht nach links geneigt. Zu ihren Füßen liegt ein Kamm. Johanna Juliane Pforte starb mit 70 Jahren. Das ist am 25. Juli genau 260 Jahre her. Zu wissen, in welchen Kleidern sie bestattet worden sein, und zu ahnen, wie sie einmal ausgesehen haben könnte,

ist das Verdienst der Natur. Der Leichnam der Oberamtsmanns-Gattin verweste nicht. Er wurde zur Mumie. Eine von sieben, die in der Gruft der romanischen Dorfkirche von Nedlitz bei Magdeburg auf ganz natürliche Weise konserviert wurden.

Zwei Mumien blieben besonders gut erhalten und wurden restauriert. Die Verwesung wurde gestoppt, weil die Gruft im unteren Teil des Turms der Dorfkirche über Jahrzehnte trocken und gut gelüftet war. Ein permanenter Luftzug, wie es ihn oft in Grüften gibt, begünstigt eine natürliche Mumifizierung. Vom 27. April an können Besucher die Beiden hinter Glas bestaunen.

Offener Umgang mit Tod, Totenkult und Begräbniskultur

Es ist ein bewusst offener Umgang mit Tod, Totenkult und Begräbniskultur - und ein Drahtseilakt für die Macher. Experten wie der Restaurator Jens Klocke aus Hildesheim halten die Nedlitzer Mumien für eine Sensation. "Der Erhaltungszustand der Gruft in Nedlitz ist mit Teilen der Kapuzinergruft in Palermo zu vergleichen", sagt er. Viele Monate untersuchte Klocke die Toten, die Särge, die Gruft und die Kirche. Hilfe gab es unter anderem vom Institut für Diagnostik und Konservierung an Denkmalen in Sachsen und Sachsen-Anhalt in Halle und der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg.

Neben dem mumifizierten Körper der Johanna Pforte restaurierte Klocke auch den Leichnam des Robert Christian von Hake. Der Jurist, ein beleibter und einflussreicher Mann, starb am 30. Juli 1720 im Alter von 50 Jahren. Er wurde in einem zartgelben Satingewand und mit Perücke in einem Übergrößen-Sarg bestattet. Auf seiner letzten Reise sollte ihn ein Rasiermesser begleiten. Die anderen fünf Mumien wurden nicht restauriert. Sie befinden sich in ihren aufgearbeiteten Särgen in der Gruft. Pforte und von Hake liegen nun hinter Glas.

Eberhard Rode (60) gehört zum Förderverein der St.-Nikolaus-Kirche Nedlitz und war auch einmal Gemeindekirchenrat. Er möchte die Mumien als Kulturgut verstanden wissen. "Sie haben einen ganz besonderen Stellenwert für die jüngere Regionalgeschichte", sagt Rode, der von seinem Haus aus direkt auf die imposante und komplett sanierte Granitsteinkirche blicken kann. "Geschichte wird durch sie erlebbar."

Den Beschluss, die Mumien zu restaurieren, zu konservieren und auszustellen, fasste der Förderverein Anfang 2010. Rund 45 000 Euro flossen in das Projekt, ein Großteil kam aus Fördertöpfen. Kritiker gibt es einige. Sie werfen dem Verein direkt die Störung der Totenruhe und indirekt Effekthascherei vor. Der Verein nimmt die Mahner ernst, verweist auf den würdevollen Umgang mit den Mumien.

Viel ehrenamtliche Arbeit

"Sie sind Zeugen der Vergangenheit und der dörflichen Begräbniskultur des 18. Jahrhunderts", sagt Rode. Es sei fast schon eine Pflicht, sie für die Nachwelt zu erhalten. Auch dafür wurde innerhalb des Fördervereins die Arbeitsgruppe "Nedlitzer Mumien" gegründet.

Während die Mumien von Klocke restauriert wurden, richteten die Vereinsmitglieder eine Ausstellung in einem der oberen Kirchenräume ein. An der Decke des etwa 25 Quadratmeter großen Raumes hängt ein Leinentuch mit der Signatur von Hakes, an den Wänden gibt es fünf Schautafeln. Den aufgearbeiteten, rußgeschwärzten Deckel von Pfortes Übersarg haben die Ausstellungsmacher an die Bruchsteinwand drapiert.

Alle Mitglieder des Fördervereins haben viel ehrenamtliche Arbeit in das Mumien-Projekt investiert und Spender gewonnen. Es gibt ein großes Ziel: Die St.-Nikolaus-Kirche Nedlitz mit ihren Mumien soll Teil der "Straße der Romanik" werden. Und: "Das Projekt soll ein neues, anderes, regionales Kirchenbewusstsein schaffen", sagt Rode.


Quelle:
dpa