Die wacklige Koexistenz von Christen und Muslimen im Gazastreifen steht vor einer schweren Prüfung. Die Führung der islamistischen Hamas will sämtliche Privatschulen schließen lassen, sollte dort nicht spätestens bis Schuljahresbeginn im September eine klare Geschlechtertrennung realisiert werden. Die katholische Kirche im Heiligen Land verweigert die Kooperation. Hier gehe es um die grundsätzliche Auffassung von Erziehung, gibt Bischof William Schomali, Kanzler des Lateinischen Patriarchats von Jerusalem, zu bedenken: "Sie können uns nicht zwingen, unserer Überzeugung zuwider zu handeln."
Von den drei katholischen Schulen im Gazastreifen gehören zwei zum Lateinischen Patriarchat, die dritte leiten Schwestern des Rosenkranz-Ordens. Schon im vergangenen Jahr sei die islamische Führung an die privaten christlichen Schulen herangetreten. "Wir trennen die Kinder seither durch unsere Sitzordnung", erklärt Bischof Schomali. "Die Jungen sitzen in den vorderen Reihen und die Mädchen hinten."
Der Hamas reicht dieses Vorgehen jedoch offenbar nicht aus. Kinder ab neun Jahren, so fordert das islamistische Regime, müssen in getrennten Klassenräumen lernen. Zudem müsse das Lehrpersonal geschlechterspezifisch verteilt werden. Mädchenklassen dürfen fortan nur noch von Lehrerinnen unterrichtet werden.
Das Problem wird heruntergespielt
Patriarch Fouad Twal will sich persönlich der Sache annehmen und plant, zu Gesprächen mit der Hamas-Führung nach Gaza zu fahren. Die Hoffnung der Kirche ist, dass die bereits im Frühjahr verabschiedete Gesetzreform auf Eis gelegt oder, besser noch, rückgängig gemacht wird.
Im Gazastreifen beschäftigt sich die Menschenrechtsorganisation Al Mezan mit den legalen Rahmenbedingungen für das Gesetz. Nach Ansicht des Journalisten Hazem Balousha sind Gesetzreformen allein Angelegenheit des Legislativrats und des Präsidenten. Da das Gesetz allein von den Parlamentariern der Hamas ratifiziert wurde, sei es "technisch nicht gültig".
Im Hamas-Erziehungsministerium wird das Problem heruntergespielt. Bei der Reform handelte es sich lediglich um «eine Ankündigung». Man habe nicht vor, Schulen schließen zu lassen, auch wenn die Geschlechtertrennung an den öffentlichen Schulen ab der 4. Klasse "seit über 20 Jahren Praxis ist" - im Gazastreifen wie im Westjordanland. Die Hamas bemüht sich offiziell um die Koexistenz mit der christlichen Minderheit. "Wir sind stolz auf unsere hervorragenden Beziehungen zwischen Muslimen und Christen", erklärte Hamas-Gesundheitsminister Basem Naim noch vor wenigen Monaten.
Schließungen drohen
Kaum noch 2.000 Mitglieder zählen die christlichen Gemeinden in der Stadt Gaza. Die winzige Minderheit stand in der Vergangenheit wiederholt im Visier von Extremisten. Vor sechs Jahren ermordeten bis heute unbekannte Täter einen protestantischen Buchhändler, der christliche Literatur führte, und einige Monate später ging die Bibliothek der christlichen Jugendverbands YMCA in Flammen auf.
Schlagzeilen machten im vergangenen Sommer Gerüchte über Zwangskonvertierungen. Zwei Christen sollen nach Angaben Familienangehöriger zunächst entführt worden und anschließend als Muslime wieder aufgetaucht sein. "Es wird Druck auf die Christen ausgeübt zu konvertieren, vor allem an den Universitäten", bestätigt Bischof Schomali. Gerade deshalb sei es so wichtig, eigene Erziehungseinrichtungen zu unterhalten. "Solange wir unsere eigenen Schulen haben, sind unsere Kinder sicher", meint der Bischof.
Sollte es hart auf hart kommen, und die christlichen Schulen würden tatsächlich schließen, müssten Alternativen her für die 1.500 Schüler, von denen rund 90 Prozent muslimisch sind. "Das wäre eine große Herausforderung für die Hamas", sagt Bischof Schomali. Er schimpft über die Radikalisierung der islamischen Führung, die mit der "ideologischen Konfrontation" nun zum ersten Mal eine "tour de force" verfolge.