Roland Jahn wird 60 Jahre alt

Vom Staatsfeind zum Chef der Stasi-Akten-Behörden

Weil er ein Unbequemer war, haben die DDR-Behörden den Jenaer Studenten Roland Jahn 1983 kurzerhand in den Westen abgeschoben. Seit gut zwei Jahren leitet er die Stasi-Unterlagen-Behörde, wo er vielen auch als unbequem gilt.

Autor/in:
Thomas Bickelhaupt
Roland Jahn (dpa)
Roland Jahn / ( dpa )

Seine Haltung zur DDR ist knapp und eindeutig: Zum Staatsfeind habe ihn erst der Staat gemacht, sagt Roland Jahn über seine Studentenzeit in den 70er Jahren im thüringischen Jena. Damals habe er die DDR wie zahllose seiner Altersgenossen durchaus als sein Zuhause gesehen, "das wir verändern und gestalten wollten". Doch die "Idee von einem Leben in Gerechtigkeit" rief bald schon die Staatssicherheit auf den Plan. Am Sonntag wird Jahn, den der Bundestag Anfang 2011 zum neuen Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen wählte, 60 Jahre alt.

 Er ist zweifellos eines der prominentesten Opfer der jahrzehntelangen politischen Willkür in der DDR. Die Mechanismen der SED-Herrschaft bekam er mehr als einmal am eigenen Leib zu spüren. Vor 30 Jahren, am 8. Juni 1983, wurde er unfreiwillig zum ersten DDR-Oppositionellen überhaupt, den die Behörden gewaltsam und gegen seinen Willen in den Westen abschoben. Zuvor war Jahn immer wieder wegen "staatsfeindlicher Aktionen" aufgefallen.

So sah die Staatsmacht in dem polnischen Fähnchen, mit dem er 1982 aus Solidarität mit dem Nachbarland unter Kriegsrecht durch Jena radelte, eine "Missachtung staatlicher Symbole". Jahn erhielt 18 Monate Haft, kam jedoch nach heftigen Protesten in der Bundesrepublik schon bald wieder frei. Die Abschiebung wenig später brachte ihm zwar unverhofft die Freiheit. Doch habe ihm die DDR zugleich einmal mehr die Möglichkeit genommen, frei über sich selbst zu entscheiden, erinnert sich Jahn.

Verprügelt und vertrieben

Als ein gravierendes Beispiel für Unrecht erlebte er die Ausbürgerung des Liedermachers Wolf Biermann im November 1976. Nachdem der Student der Wirtschaftswissenschaften seine Kritik an der staatlichen Willkür wiederholt bekräftigt hatte, verlor er wenige Wochen später seinen Jenaer Studienplatz und wurde überdies vom Studium "an allen Universitäten und Hochschulen der DDR ausgeschlossen". Den DDR-Alltag kommentierte er fortan auf seine Weise - mit verfremdeten offiziellen Plakaten oder Bildpostkarten, die ihn mit der Banderole "Bildungsverbot" über dem Mund zeigten.

Als einschneidendes Ereignis für seine Entwicklung zum Oppositionellen bezeichnet Jahn den Tod seines Freundes Matthias Domaschk, der am 12. April 1981 unter bis heute ungeklärten Umständen im Stasi-Gefängnis von Gera ums Leben kam. Dies sei für ihn wie ein Signal gewesen, fortan keine Rücksicht mehr zu nehmen auf Repressionen durch den SED-Staat, sagt er. In Jena hielt er 1983 bei einer Demonstration zum Gedenken an die Bombardierung der Stadt im Zweiten Weltkrieg sein Plakat "Schwerter zu Pflugscharen" hoch, bis es Stasi-Leute herunterrissen.

Als er wenig später sein Transparent in Potsdam entrollen wollte, wurde er verprügelt, 18 Stunden lang festgehalten und vernommen. Die Aufforderung zur sofortigen Ausreise wies er zurück. Schließlich lockte ihn die Jenaer Stasi in eine Falle: Die Vorladung bei der Stadtverwaltung wegen eines angeblichen Wohnungstauschs endete auf dem Grenzbahnhof von Probstzella bei Saalfeld. Dort sperrte ihn die Transportpolizei in Knebelketten in den letzten Wagen eines Interzonenzuges. Das verschlossene Abteil wurde erst in der Bundesrepublik wieder geöffnet.

Lektion aus den Akten

Im unfreiwilligen Exil wurde Jahn nicht nur zu einem wesentlichen Chronisten der DDR-Opposition, sondern auch zu einem ihrer wichtigsten Unterstützer im Westen. Im damaligen West-Berlin sorgte er dafür, dass die oppositionellen Gruppen in westlichen Medien jene Öffentlichkeit fanden, die ihnen im eigenen Land verwehrt blieb.

Als Leiter der Stasi-Unterlagenbehörde wirbt Jahn beharrlich für mehr Transparenz bei der Auseinandersetzung mit der SED-Diktatur. Dazu gehört für ihn neben einem offenen Umgang mit DDR-Biografien zwischen Anpassung, Verweigerung und Opposition auch die "Bitte um Entschuldigung" der damaligen Täter. Es gehe ihm nicht um Vergeltung, sondern um Aufklärung und "glaubhafte Reue", betont er immer wieder.

Seine "Lektion aus den Akten" für kommende Generationen bringt er mit wenigen Worten auf den Punkt: "Je besser wir Diktatur begreifen, umso besser können wir Demokratie gestalten."


Quelle:
epd