domradio.de: Das Bundesfamilienministerium hat zwar erste Zweifel an der Zahl angemeldet, aber wenn man sich die entsprechenden Versicherungen anguckt, haben gerade einmal 71 Beschäftigte in diesem Jahr die Pflegezeit beantragt, überrascht sie diese Zahl?
Eugen Brysch: Nein, wir haben der Ministerin schon auch bei der Diskussion um die Einführung des Gesetzes gesagt, wir brauchen einen Rechtsanspruch so wie bei der Elternzeit, wo eben Partner zu Hause bleiben können, um ihr Baby gemeinsam aufzuziehen. Ein solches Modell wäre auch sinnvoll gewesen für die Familienpflegezeit, weil es hier um die Berufstätigen geht, die oft doppelt belastet sind. Sie sind berufstätig, sie haben zu Hause oft auch noch Kinder und pflegen ihre Angehörigen, das heißt ihre Eltern. All dies wäre möglich gewesen, die Familienministerin hat eine große Ankündigung gemacht und hat dann einen großen Rückzieher gemacht, indem es keinen Rechtsanspruch darauf gibt.
domradio.de: Also den Unternehmen ist es bisher selbst überlassen, ob sie solch eine Familienpflegezeit gewähren. Was würde ein Rechtsanspruch ändern?
Brysch: Auch das ist ja eine Gemeinschaftsaufgabe, die von der Gemeinschaft letztendlich getragen werden muss. So wie wir Kinder erziehen, müssen wir uns auch darum kümmern, dass die Gemeinschaft dafür sorgt, dass diejenigen, die ihre Eltern pflegen, eine entsprechende Unterstützung erhalten und da wäre wenigstens für zwei Jahre das Modell gewesen, dass der Arbeitgeber die Kosten übernimmt und die Kosten, wie bei der Elternzeit, dann direkt der Staat, der Bund trägt. Dieses Modell wollte man nicht einführen, obwohl es ursprünglich mal diskutiert worden ist und wir haben der Ministerin schon gesagt, es wird in der Realität kaum einen Arbeitgeber geben, erst recht kein Arbeitnehmer in der Lage sein, auf Gehalt zu verzichten, die gesamte Arbeit zu machen. Das große Gesetz hat Schiffbruch erlitten.
domradio.de: Sie sind ein recht großer Interessensverband, es ist ja jetzt nicht das erste Mal, dass sie die Familienpflegezeit kritisieren, wie läuft denn ihre Zusammenarbeit mit dem Familienministerium?
Brysch: Sie müssen wissen, dass wir eine Patientenorganisation sind, kein Leistungsanbieter, keine Ärzte, sondern dass wir die Patienten vertreten in diesen Konflikten. Wir sind ja nicht deswegen eine solche große Organisation geworden, weil wir Everybody´s Darling sind, sondern dass wir immer wieder kritisch sagen, da wird es nicht zum Erfolg kommen. Eigentlich muss die Frau Schröder sagen, ja, das ist ein Misserfolg, wie überhaupt die gesamte Pflegepolitik dieser Bundesregierung eher von Misserfolgen geprägt ist. Große Dampfer wurden angekündigt und am Ende waren es kleine Nussschalen, die dann die Patienten bekommen haben. Dass eine solche jetzt gescheitert ist, wie mit der Familienpflegezeit, muss uns hoffen lassen, dass wir mit einer neuen Bundesregierung und mit dem klaren Auftrag auch wirklich was für pflegende Angehörige tun, die ja überlastet sind, die ja mit ihren Kräften kaum noch haushalten können. Dass wir da endlich sagen, das ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, hier müssen wir alle mittun. Das kann kein Privatrisiko sein, sich um ihre Eltern zu kümmern(….) Das jetzige Gesetz kann eigentlich eingestellt werden, denn wir beschäftigen zur Zeit nur Beamte und Verwaltung damit, um dann, seien es 77 oder 770 Menschen zu unterstützen, weil Ziel von Frau Schröder waren 44.000 Menschen, die diese besondere Form der Familienpflegezeit jedes Jahr erhalten sollen. Sie sehen wie absurd die Zahlen tatsächlich sind, ob die jetzt um einhundert höher, um tausend höher sind, von den 44.000 sind wir doch Welten entfernt.
domradio.de: Solange die Unterstützung durch die Familienpflegezeit nicht richtig funktioniert, was raten Sie den pflegenden Angehörige, woher bekommen Sie für diese Aufgabe Hilfe?
Brysch: Da sprechen Sie genau den Punkt an, der uns große Schwierigkeiten macht, weil auch die Pflegereform, die von Herrn Bahr angekündigt worden ist, keine richtige ist. Tatsächlich bekommen gerade auch Angehörige, die sich jetzt um ihre Menschen kümmern, die demenziell erkrankt sind, jeden Tag ungefähr 3,50 Euro mehr als vor dieser Pflegereform. Wir leben grundsätzlich damit, dass wir diese Probleme nicht wahrnehmen und nicht erkennen. Und wenn es nicht die Frauen wären, die sich da opfern, sondern Männer, die das machen würden, hätten wir schon längst eine gesetzliche Regelung, die die Pflege in die Zukunft sicher macht. Wir müssen uns heute überlegen, wie wollen wir denn die heutigen 20-Jährigen in 50 oder 60 Jahren pflegen? Von Zukunftssicherheit, von jetziger Hilfe ist leider nichts vorhanden.
Das Interview führte Uta Vorbrodt