Bundespräsident eröffnet Credo-Ausstellung

Lernen aus der Geschichte

Bundespräsident Joachim Gauck hat an die Europäer appelliert, aus ihrer gemeinsamen Geschichte zu lernen. "Uns verbindet in Europa sehr viel mehr als etwa nur eine gemeinsame Währung", sagte Gauck am Freitag in Paderborn zum Auftakt der Mittelalter-Ausstellung "Credo" über die Christianisierung Europas im Mittelalter.

Credo-Ausstellung (dpa)
Credo-Ausstellung / ( dpa )

Gauck sagte im Paderborner Dom: "Uns verbindet eine lange gemeinsame Geschichte." Dabei sei es nicht die Aufgabe, über die Vorfahren zu richten. "Unsere Aufgabe ist es vielmehr, zu lernen und zu begreifen, uns zu informieren und uns inspirieren zu lassen. Wer es besser machen will als unsere Väter und Mütter, als unsere Vorfahren und Ahnen, der fange heute damit an."

Die Ausstellung zeige, "wie sehr die Christianisierung Europa geprägt hat und neben anderem bis heute prägt", sagte Gauck bei der feierlichen Eröffnung im Dom zu Paderborn einem vorab verbreiteten Text zufolge. "Ich denke an gemeinsame Werte wie die Solidarität mit dem Nächsten und die Achtung vor der Schöpfung." Diese Wurzeln seien bis heute wirkmächtig.

Gauck nahm auch Bezug auf Papst Franziskus. "Wenn sich heute ein Papst nach dem Heiligen Franziskus benennt, dann haben wir diese einmalige mittelalterliche Persönlichkeit aus Assisi in Umbrien vor Augen, die von einer Reform der Kirche aus Armut und Demut träumte und die das Lob der Schöpfung singen konnte, wie man es sich aktueller kaum denken kann."

Der Münchner Historiker Rudolf Schieffer würdigte in seinem Festvortrag die große historische und kulturelle Bedeutung des Christianisierungsprozesses: "Es gibt nicht viel aus der tausendjährigen Geschichte des Mittelalters, was an historischer Tragweite vergleichbar wäre mit der Ausbreitung des Christentums in ganz Europa." Mit dem Import von Handschriften, der Einrichtung von Schulen und mit dem Beginn der Schreibtätigkeit habe die Mission die jeweils christianisierten Gebiete auf eine neue Stufe der historischen Entwicklung gehoben.

Der Paderborner katholische Erzbischof Hans-Josef Becker erklärte: "Wir haben die Verpflichtung, das große christliche Erbe und dessen prägende Kraft wieder stärker ins Bewusstsein zu heben und für die Gegenwart fruchtbar zu machen." Gerade in Zeiten der Veränderungen sei es wichtig, sich der christlichen Wurzeln neu zu vergewissern.

Rundgang durch die Ausstellung

Am Anfang war das Wasser. Das lebensspendende Element verbindet die drei Teile einer außergewöhnlichen Ausstellung in Paderborn: "CREDO - Christianisierung Europas im Mittelalter", heißt sie. Ihre Exponate stammen teils aus noch früherer Vorzeit. Handschriften, Goldscheiben und Steinfiguren aus der Antike sind im Eingangsraum des Diözesanmuseums zu sehen - alle herumgruppiert um das Wasser. Genauer gesagt, um ein Taufbecken, ohne echtes Nass, dafür mit wechselnd eingeblendeten biblischen Bildern. Tippt der Besucher mit dem Finger auf die Oberfläche, entsteht derselbe digitale Effekt wie bei einem natürlichen Wassertropfen: Wellen durchziehen das Bild, die feinen Linien kräuseln sich und verschwimmen zum nächsten Motiv.

So faszinierend sie ist, zu lange darf sich der Besucher an dieser ersten Station nicht aufhalten. Denn in den drei Museen, die die Schau gemeinsam gestaltet haben, gibt es noch viel mehr zu entdecken. Zum Beispiel eine Europa-Karte, die von der Decke des schneckenhausförmigen Diözesanmuseums bis fast auf den Boden reicht.

Neben Hauptstädten sind dort auch kleine Orte eingetragen, deren Namen geheimnisvoll klingen: Haithabu zum Beispiel, Uppakra oder Prittlewell. "An diesen Orten wurden Stücke gefunden, die wir jetzt ausstellen", erklärt Mirjam Flender vom Pressebüro.

Einzigartige Funde

Aus dem südschwedischen Uppakra zum Beispiel stammt ein Krug aus einer kultischen Tempelanlage. Noch nie zuvor wurde der Fund außerhalb seiner Heimat gezeigt. Dabei lässt sich an ihm ablesen, wie sich heidnische und christliche Kultur nach und nach

vermischten: Opfertiere sind darauf zu erkennen neben frühen christlichen Symbolen. Die Christianisierung als schleichender, jahrhundertelanger Prozess? Das passt nicht zu der Vorstellung von blutigen Kreuzzügen. "Die gab es natürlich auch", sagt Annika Pröbe.

Sie hat den zweiten Teil der Ausstellung in der Kaiserpfalz kuratiert, die sich der kriegischen Mission des Mittelalters widmet. "Wir versuchen, beide Seiten der Medaille zu zeigen", sagt sie: "Karl der Große gehört dazu. Die Menschen sollen aber auch erfahren, was uns das Christentum alles gebracht hat - die Schrift, zum Beispiel. Das sollte man zu schätzen wissen."

Vorurteile abbauen

Mit manchem Vorurteil aufzuräumen, ist das erklärte Ziel der Paderborner. Dafür haben sie 750 Ausstellungsstücke von 230 Leihgebern aus ganz Europa, Russland und den USA versammelt. 15.000 Besucher haben sich bereits im Vorfeld angemeldet - eine hohe Zahl, aber nicht die Hauptsache. "Wichtig ist, was in den Köpfen passiert", betont Kurator Christoph Stiegemann. Gemeinsam mit Christiane Ruhmann hat er "CREDO" von der Idee zum Konzept gemacht. Fünf Jahre Vorbereitung hat das Team in die Schau gesteckt; viele Exponate wie das berühmte Karlsepos oder die älteste Abschrift eines Paulus-Briefs sind historisch einzigartig.

Eine andere archäologische Sensation ist der "King of Bling". So nennen die Kunstkenner den Fürsten von Prittlewell, dessen Grab erst vor zehn Jahren in Südengland entdeckt wurde. Dieses erste christlich-angelsächsische Grab stammt aus der Zeit um 600 nach Christus. In Paderborn ist die Stätte nachgebildet: Der Museumsbesucher betritt einen kleinen quadratischen Raum mit nur wenigen Lichtquellen - und stößt sich fast den Kopf an der niedrigen Decke. Hier hat Claire Reed, Mitarbeiterin des ausleihenden "Southend Museum", die Grabbeigaben drapiert. Ihnen verdankt der "König der Klunker" seinen Beinamen.

Bevor die klimatisierte Holzbox aufgeschraubt wird, sagt Reed, sei sie aufgeregt. Doch als sie die goldene Gürtelschnalle des Fürsten behutsam aus der Schatulle hebt, zittert ihre Hand nicht. Behutsam dreht und wendet sie den kostbaren Gegenstand, berührt ihn trotz feinster Handschuhe nur so viel wie nötig. Um so kritischer mustert sie ihn: Jede Macke, jede verbogene Kante wird genau notiert.

Schließlich muss bei der Rückgabe feststehen, wann ein möglicher Schaden entstanden ist. Dieser Aufwand ist normal: Um etwa Handschriften im Verlauf einer Ausstellung umzublättern, damit sie weniger unter dem Licht zu leiden, reist oftmals eigens ein Mitarbeiter des Leihgebers an.

Fürstengrab als Höhepunkt der Ausstellung

Doch die Konservatorin des "King of Bling" strahlt: "Wir sind glücklich, dass wir diesen Fund hier präsentieren können", sagt Reed.

Schließlich wurden die Grabschätze noch nie außerhalb Englands gezeigt. "Es ist also ein besonderes Gefühl, hier zu stehen", sagt die Britin mitten in dem düsteren Gruftraum. Das Kostbarste legt sie zum Schluss nieder: die goldenen, hauchzarten Blattgold-Kreuze, die dem toten Fürsten auf die Augenlider gelegt wurden. Alle Beobachter halten den Atem an, bevor die Vitrine versiegelt wird. Geschafft!

Das Fürstengrab ist nicht nur ein Höhepunkt der Ausstellung. Die Art, wie es präsentiert wird, ist exemplarisch: anschaulich für Kinder, hintergründig für Kunstinteressierte. Abgerundet wird "CREDO" von einem breit gefächerten Rahmenprogramm. So können Kinder ihr eigenes Floß bauen und damit die Pader überqueren. "Zeichen setzen" heißt ein anderes Angebot, in dem junge Besucher ausprobieren können, wie es sich mit Knochen auf Wachstafeln schreiben lässt. Für Erwachsene gibt es Steinmetz-Workshops und Führungen mit thematischen Schwerpunkten, darunter auch einen Rundgang auf Latein.

All diese Angebote verdeutlichen die Spuren des Christentums, die im heutigen Alltag noch immer erkennbar sind. Um die Frage, wie diese Entwicklung über die Jahrhunderte hinweg interpretiert wurde, geht es in der Städtischen Galerie, dem - chronologisch betrachtet - letzten Teil der Ausstellung. Am Beispiel des Sachsenherzogs Widukind, Widersacher Karls des Großen, zeigen mehrere Gemälde die verschiedensten Sichtweisen auf das Christentum: Die Legende seiner Taufe steht neben der Darstellung Widukinds als Verteidungskämpfer, der sich nichts diktieren lassen möchte, und einem zeitgenössischen Schwert. Die Vereinnahmung des mittelalterlichen Herrschers durch die Nationalsozialisten wird ebenso thematisiert wie unschuldige Varianten in Kinderbüchern. "Es gibt viele Perspektiven auf das Christentum", resümiert Andreas Neuwöhner, verantwortlich für den Abschlussteil.

Impulse für das heutige Christsein

Welche die eigene Sichtweise sei, müsse der Besucher selbst erkennen. Im allerletzten Raum sind deshalb Spiegel aufgestellt, einzelne Objekte aus allen drei Museen werden noch einmal in Erinnerung gerufen. "Hier kann sich zum Beispiel jeder fragen, welches sein Lieblingsstück war, was die Ausstellung ihm persönlich gesagt hat", erklärt Neuwöhner. Daraus könnten durchaus Impulse für das heutige Christsein entstehen, sagt Mitarbeiterin Heike Bee-Schroeter. "Als das Christentum entstanden ist, hat es bestehende Traditionen ernstgenommen und miteinbezogen. Das heißt, es darf auch heute nicht starr bleiben."

Für Kurator Christoph Stiegemann zeigt ein weiterer Aspekt, wie aktuell die Ausstellung ist. "Durch Krisen im ökonomischen Bereich ist die Idee eines vereinten Europa fast verdunstet", sagt er. "Da ist es wichtig, sich einmal auf die Fundamente zu besinnen." Daher war es den Organisatoren ein Anliegen, Exponate aus ganz Europa zusammenzuführen, auch selten gezeigte Gegenstände wie eine Kette aus dem Kiewer Rus. "Den Kollegen aus ganz Europa war es ebenso wichtig wie uns, diese Gemeinsamkeiten festzuhalten", sagt Stiegemann. "So können wir Europa einmal ganz neu in den Blick nehmen."

 


Quelle:
KNA , dpa , epd