World Vision fordert Hilfe für syrische Kinder

Ein Riss in Kinderseelen

Mehr als eine Millionen Syrer sind derzeit auf der Flucht. Unter ihnen sind viele Kinder, die oft mehr verlieren als nur ihre Heimat. Christoph Waffenschmidt von World Vision fordert deshalb im domradio.de-Interview eine Friedens-Offensive für Syrien.

Syrische Kinder auf der Flucht vor dem Krieg (dpa)
Syrische Kinder auf der Flucht vor dem Krieg / ( dpa )

domradio.de: Worunter leider diese Flüchtlingskinder Flüchtlinge insgesamt? Was ist deren Schicksal Tag für Tag?

Waffenschmidt: Also zum einen sind sie natürlich vertrieben. Sie haben ihre Heimat verloren, sie mussten aufbrechen, sind vertrieben worden mitten in der Nacht. Bei Kindern sind das ganz konkrete Traumata, nicht nur bei Erwachsenen sondern gerade bei Kindern. Sie müssen sich das vorstellen als junges Kind mit vier, fünf Jahren andere natürlich ein bisschen älter - ständig in Flüchtlingssituation, ständig in Angst. Das ist natürlich ein Riss in einer Kinderseele. Das ist das Erste, also die psychologischen Traumata, die erlitten worden sind. Die begleiten sie eigentlich jeden Tag und dann leben sie jetzt in einem neuen Umfeld. Meist in Flüchtlingslagern, das sind häufig zeltartige Behausungen, die auf einem Acker oder auf einem rumpeligen Untergrund errichtet worden sind und das ist dann der Lebensrhythmus in dem sie ihren Tag verbringen.

domradio.de: Sie fordern eine Friedensoffensive, gerade im Hinblick auf das Schicksal der Kinder. Wer soll sich denn daran beteiligen und wofür muss dann diese Offensive sorgen?

Waffenschmidt: Also wir haben das bewusst so gewählt als Friedensoffensive für Kinder, weil die Kinder tatsächlich nicht in den Blick genommen werden. Wenn wir an Syrien, an den Bürgerkrieg denken dann sieht man Bilder von Kampfhandlungen und von explodierenden Granaten oder Bomben. Man hört was politisch getan wird aber die Kinder, die werden eigentlich gar nicht beachtet. Deshalb wollen wir als Kinderhilfswerk den Blick auf sie richten und es muss einiges getan werden. Die Traumata, die ich angesprochen habe, wer kümmert sich darum? Wer spricht mit den Kindern? Dafür sind Schutzräume notwendig. Kinderbetreuungszentren in denen die Kinder das äußern können. Wo Vertrauenspersonen auch außerhalb der Familie da sind mit denen sie darüber reden können und sich öffnen können. Zentren, wo sie einfach auch mal spielen können, wo sie toben können, wo sie einfach Kind sein können. Dafür braucht es Geld und da denken wir an die öffentlichen Geldgeber und fordern sie auf, in Deutschland das BMZ (Anmerk.d.Red.: Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung), das Auswärtige Amt, die eine Zuständigkeit dafür haben, für humanitäre Hilfe, für langfristige Hilfe sich mit der Zivilgesellschaft an einen Tisch zu setzen und gemeinsam Konzepte zu entwickeln, wo wir Kindern genau diese Schutzzentren anbieten können.

domradio.de: Sie waren jetzt in den Flüchtlingslagern der Nachbarländer Syriens unterwegs und sie sagen mehr Belastung für die Nachbarn geht nicht mehr. Wie ist denn die Lage in den Grenzregionen Syriens?

Waffenschmidt: Ich bleibe mal bei dem Beispiel Libanon. Libanon ist ein Land, das ist ungefähr halb so groß wie Hessen und hat eine Einwohnerzahl etwas mehr wie Berlin zum Beispiel und hat jetzt schon mehr als eine Millionen Flüchtlinge aufgenommen. Man rechnet damit, dass bis Ende des Jahres ungefähr jeder Dritte, der im Libanon lebt ein syrischer Flüchtling ist. Wenn ich mir das vorstelle - sie sitzen jetzt gerade in Köln. Köln mit knapp einer Millionen Einwohnern. Wenn jetzt innerhalb von knapp zwei Jahren 300.000 Flüchtlinge in der Stadt untergebracht werden müssen. Irgendwo auf öffentlichen Plätzen, vielleicht in Schulen, in anderen Möglichkeiten wo Leute übernachten können. Eine völlige Überforderung von Köln wäre das und es ist natürlich eine völlige Überforderung von so einem Land wie dem Libanon, das bis vor kurzem selbst ein Bürgerkriegsland gewesen ist und immer noch fragil ist. Das beschreibt einfach nur - von den rein zahlenmäßigen Dimensionen - wie fragil die Situation dadurch dann noch weiter wird. Und die Libanesen erleben das einfach im Alltag. Wo Kinder bisher gerne Fußball oder Basketball gespielt haben, da ist einfach kein Platz mehr. Da stehen Zelte, da können die Jugendlichen aus dem Libanon nicht mehr kicken. Es erleben die Eltern, wenn sie Arzttermine haben wollen mit ihren Kindern als Libanesen. Dann geht das auch nicht mehr so einfach. Es ist ein Druck auf die Energieversorgung, ein Druck auf die Schulen da – einfach durch die schiere Anzahl der Flüchtlinge. Von daher eine deutliche Überforderung und da muss Entlastung kommen für so ein Land.

domradio.de.: Mit einem Gesamtertrag  von über 83 Millionen Euro hat World Vision Deutschland im vergangenen Jahr über 300 Projekte in den fast 50 Ländern dieser Welt umgesetzt, das schreiben sie heute in ihrer Jahrespressekonferenz. Sie organisieren und finanzieren zum Beispiel auch Schulaufhol-Programme für syrische Kinder. Warum ist das wichtig und wie sehen die aus?

Waffenschmidt: In Syrien werden die Kinder auf Arabisch unterrichtet. Das ist die Nationalsprache, die Amtssprache und eben auch die Schulsprache. Im Libanon werden Kinder auf Französisch oder Englisch zumeist unterrichtet, das heißt die syrischen Flüchtlingskinder können gar nicht integriert werden in den normalen Schulalltag. Das wäre von der Kapazität, von den Schulplätzen gar nicht möglich. Aber eben auch von der Sprache ist es einfach sehr schwierig. Diese Schulaufhol-Programme, die machen wir jetzt ganz konkret während der libanesischen Schulferien. Da können wir libanesische Schulgebäude nutzen und syrische Lehrer, zumeist selber Flüchtlinge unterrichten die syrischen Kinder dann mit arabisch-sprachigem Schulmaterial auf Arabisch. Das unterstützen wir, das fördern wir durch Spendengelder, die war dann da haben. Aber leider ist das noch  zu wenig, denn es sind eigentlich nach Erhebungen nur 38 Prozent der syrischen Flüchtlingskinder, die in die Grundschulen gehen und wenn es an weiterführenden Schulen geht, dann sind es nur noch zwei Prozent. Also deutlich unter fünf Prozent, die davon überhaupt teilhaben. Das ist eine Bildungsmisere. Wo keine Bildung stattfindet, können Kinder nicht entsprechend geschult werden für die Zukunft und neben der humanitären Krise ist dann die Bildungskrise die nächste Herausforderung, die zu meistern ist.

domradio.de: Den noch in Syrien lebenden Kindern zu helfen bleibt ja bei dieser andauernden Gewalt deutlich gefährlich und schwierig. Was befürchten Sie den wird eintreten, wenn für diese Kinder jetzt nichts getan werden könnte?

Waffenschmidt: Also – im Libanon wird Hilfe geleistet. In Syrien kann nur teilweise Hilfe geleistet werden, weil aufgrund der militärischen Situation viele Flüchtlinge gar nicht erreicht werden. Da ist hungern ein Thema, da ist mangelndes Trinkwasser ein großes Thema, da ist mangelnde Hygiene ein sehr großes Thema. Das sind so die alltäglichen Nöte, die gar nicht erreicht werden. Die gar nicht geleistet werden können. Das ist ein großes Thema und Bildung findet natürlich wo Krieg ist auch gar nicht statt. Schule findet da nicht statt. Das ist ein ganz großes Thema. Von daher fordern wir einfach, dass die Kämpfe aufhören und dass in einer Friedenskonferenz tatsächlich politische Lösungen für Syrien gesucht werden. Davon sind dann auch im Positiven die Kinder betroffen, weil dann wieder ein geregelter Alltag einkehren kann. Da ist eine politische Lösung erforderlich. Da müssen dann aber alle an einen Tisch, die dazu was zu sagen haben.  

domradio.de: Vielen Dank!

Das Gespräch führte Monika Weiß.


Quelle:
DR