Die Lage für Christen in Ägypten bleibt brandgefährlich

Fanal am Nil

Angesichts der anhaltenden Ausschreitungen in Ägypten wollen sich die EU-Außenminister noch in dieser Woche zu einem Krisengipfel in Brüssel treffen. Teil der Beratungen dürfte auch die Gewalt gegen die christliche Minderheit sein.

Autor/in:
Burkhard Jürgens
Eine zerstörte Kirche in Ägypten (dpa)
Eine zerstörte Kirche in Ägypten / ( dpa )

Rund 60 zerstörte oder verwüstete Kirchen und christliche Einrichtungen, Hunderte christlicher Geschäfte und Wohnungen, die geplündert wurden oder in Flammen aufgingen - das ist die vorläufige Bilanz der Ausschreitungen in Ägypten auf christlicher Seite. Noch diese Woche wollen sich die EU-Außenminister zu einem Krisengipfel in Brüssel treffen. Die Bundesregierung kündigte an, bei einer Neuordnung der Zusammenarbeit mit Ägypten den Umgang mit religiösen Minderheiten in dem Land zu einem wichtigen Kriterium zu machen.

Unter Ägyptens Christen - ihr Bevölkerungsteil bewegt sich um zehn Prozent - sind hauptsächlich die Kopten als die größte Gemeinschaft betroffen. In Minia, Assiut und Fayum, wo der Christenanteil besonders hoch ist, griffen Islamisten 24 Kirchen an. Aber auch neun Kirchen, vier Klöster und eine Schule von Katholiken wurden nach kirchlichen Angaben beschädigt oder zerstört.

Nicht nur für die internationale Gemeinschaft, auch innerhalb der ägyptischen Gesellschaft ist der Umgang mit den Christen zu einem Prüfstein der demokratischen Erneuerung geworden. Es ist eine Rolle, auf die viele Christen sicher gern verzichten würden - denn sie ist lebensgefährlich.

Unterschiedliche Bewertung der Polizeigewalt

Ein Punkt ist: Bei der Räumung von Protestcamps der Anhänger des gestürzten Präsidenten Mohammed Mursi stellten sich Kirchenvertreter dezidiert hinter die Staatsgewalt. Beispielsweise nannte der anglikanische Bischof von Ägypten, Mouneer Hanna Anis, das Vorgehen der Sicherheitskräfte "sehr professionell". Sie hätten "Tränengas nur dann eingesetzt, wenn es nötig war".

Andere Beobachter sprachen auch von unverhältnismäßiger Polizeigewalt gegen die Demonstranten. Vor Kirchenseite wurde eine derartige Kritik nicht laut. Bischof Anis bemerkte hingegen, dass kurz nach den Räumungen in Kairo landesweit Gewalttätigkeiten gegen Christen losbrachen. Es schien von langer Hand geplant. Gewiss war es kein Zufall.

"Die Islamisten rächen sich an uns Christen", formulierte der koptisch-katholische Bischof von Assiut, Kyrillos William Samaan. Auch er berichtete unmittelbar nach Beginn der Unruhen von Angriffen in Suhag, Fayum, Beni Suef, auf der Sinai-Halbinsel. Zugleich betonte er, die Atmosphäre für Christen habe sich nach dem Sturz Mursis verbessert: Muslimische Publizisten erhöben das Wort für Christen; moderate Muslime verteidigten Kirchen gegen militante Islamisten.

Oder doch keine Christenverfolgung?

Die positive Sicht ist nicht ganz zweckfrei. Der größte Schutz der kleinen christlichen Herde liegt darin, sich unter die Mehrheit zu mischen. Deshalb lehnen Kirchenvertreter besondere Aufmerksamkeit auf ihre Minderheitensituation ab; sie bestreiten wie der katholischen Bischof Youhanna Golta in Alexandrien, dass es so etwas wie eine Christenverfolgung gebe.

Unter den Muslimbrüdern litten "sowohl Christen wie Muslime", sagte Golta zu Radio Vatikan. Zwar nutzten militante Islamisten "die Schwäche der christlichen Minderheit, um anzugreifen, um zu töten". Fataler aber wäre es aus Sicht des Bischofs, wenn die ägyptische Gesellschaft in Christen und Muslime geteilt würde. "Die Vereinigten Staaten haben das nicht verstanden, auch nicht die Europäische Union."

Darin liegt ein Grund, dass der koptische Papst Tawadros II. ebenso wie der koptisch-katholische Patriarch Ibrahim Sidrak ihren Rückhalt für Polizei und Militär erklärten. Zugleich wandte sich Sidrak gegen "islamistische Fanatiker und Unruhestifter", während Tawadros II. den Westen davor warnte, "diesen terroristischen und blutrünstigen Gruppen" irgendeinen Schutz zu geben. Einen Bündnispartner finden die Kirchenführer ausgerechnet im Großimam der Al-Azhar-Universität, der höchsten Lehrautorität des sunnitischen Islam. Ohne Gewaltverzicht, so Scheich Ahmed al-Tayyeb, drohe das Land "in blinden Aufruhr abzugleiten, der die Nation in Brand setzen könnte".


Quelle:
KNA