Wenig überzeugende Doku über Gläubige in Ballungszentren

Ein neuer Trend für Großstädter?

In Lagos und Istanbul haben die Macher einer ARTE-Dokumentation Belege für den gelebten Glauben junger Großstädter gefunden. Und sogar in Berlin. Doch viele Zahlen beeindrucken nur auf den ersten Blick. Übrig bleibt Ernüchterung.

Autor/in:
Monika Herrmann-Schiel
Gläubige in Lagos / © Sami Karim/ARTE
Gläubige in Lagos / © Sami Karim/ARTE

Rund 400 Besucher strömen jeden Sonntagmorgen ins "Babylon". In dem traditionsreichen Programm-Kino am Rosa-Luxemburg-Platz veranstaltet das "Berlinprojekt Kirche für die Stadt" seine Gottesdienste. Zur abendlichen Feier im Kulturzentrum "Betahaus" in Kreuzberg kommen noch einmal rund 100 meist junge Leute. Im nigerianischen Lagos sind es zigtausende Menschen, die jeden ersten Freitag im Monat zum "Holy Ghost Service" der Redeemed Christian Church of God (RCCG) in der großen Halle des sogenannten "Redemption Camp" zusammenkommen.

Diese Beispiele hat sich Sabrina Dittus in ihrem Film "StadtGebete: Die Neuerfindung der Religion in der Stadt" näher angesehen. ARTE zeigt die Dokumentation am Dienstag um 23.20 Uhr. Die Menschen in den Millionenstädten hätten vermehrt Sehnsucht nach einer Orientierung und nach Glauben, stellt der Film fest. Habe man Berlin vor einigen Jahren noch als Hauptstadt des Atheismus betrachtet, sei nun festzustellen, dass es für junge Großstädter wieder angesagt sei, in die Kirche oder in die Moschee zu gehen.

Um diese These zu belegen, hat die Autorin bei verschiedenen freikirchlichen Gruppierungen in Berlin, im Redemption Camp Lagos und in islamischen Zentren Istanbuls gedreht. Der Kulturwissenschaftler Werner Schiffauer von der Europa-Universität Viadrina erläutert die wieder entstehende Verbindung von Urbanität und Religiosität.

Gewaltige Zahlen

Zunächst beeindruckt der Film mit gewaltigen Zahlen und Bildern von enthusiastisch betenden Menschenmassen. Verwundert hört man, dass im "Redemption Camp" in Lagos heute über 25.000 Menschen wohnen und manchmal eine Million Menschen zu Gottesdiensten der Pfingstkirche kommen, die allein in Nigeria rund 24.000 Gemeinden hat. Aufhorchen lässt der Satz eines Camp-Bewohners, der darüber spricht, dass er hier sicher leben könne. Abends aus dem Haus zu gehen, sei ansonsten in Lagos nicht möglich.

Neben den Anhängern und Vertretern der religiösen Gemeinschaften kommen auch Kritiker zu Wort. Der deutsch-nigerianische Musiker Ade Bantu beklagt, dass Lagos durch die RCCG kein besserer Ort geworden sei. Die Stadt brauche mehr Gerechtigkeit und sozialen Ausgleich, den aber leiste die RCCG nicht, auch unter den Gemeindemitgliedern gebe es große Unterschiede zwischen Arm und Reich.

In Istanbul befürchtet der Autor und Theologe Ihsan Eliacik, dass der Islam und die Religion zu einer Beschäftigung der Reichen werden. In Berlin wird neben den Aktivitäten des freikirchlichen Berlinprojekts die Arbeit der Pfingstkirche International Christian Fellowship (ICF) gezeigt, deren Mitglieder sich jetzt eine eigene Kirche bauen.

Und die Inhalte?

Bedauerlicherweise sagt der Film wenig über die Glaubensinhalte dieser religiösen Gruppierungen. Es bleibt bei Feststellungen, dass man sich streng an das Wort Gottes halte oder den Glauben einfach anders lebe. Was man darunter zu verstehen hat, wird jedoch nicht erläutert. Leider versäumt es Sabrina Dittus, die These, die postsäkulare Gesellschaft sei längst Realität, auch mit Zahlen zu unterlegen.

Setzt man die Angaben über Gottesdienst-Besucher und die Bewohner religiöser Stadtviertel in Relation zu der Gesamtgröße der Städte, so kommt man zu eher ernüchternden Ergebnissen: So leben höchstens 0,39 Prozent der Bewohner Istanbuls im streng religiösen Viertel Basaksehir. Zu den Recherchen in Berlin sei noch angemerkt, dass es sehr merkwürdig ist, dass nur eine Freikirche und eine Pfingstkirche in die Betrachtungen einbezogen wurden.

Hinweis: 2StadtGebete: Die Neuerfindung der Religion in der Stadt", Film von Sabrina Dittus. ARTE, Di 20.8., 23.30 - 0.20 Uhr, Wiederholung am Freitag, 23.08. um 9:00 Uhr.


Quelle:
KNA