Der israelische Publizist Avnery wird 90 Jahre alt

Ein unermüdlicher Optimist

Geboren in Westfalen, 1933 emigriert nach Palästina, wurde Uri Avnery zu einem der bekanntesten Friedensaktivisten Israels. In Hannover drückte er mit Rudolf Augstein die Schulbank, in Tel Aviv gründete er ein politisches Magazin. Jetzt wird er 90.

Uri Avnery / © Uri Avnery
Uri Avnery / © Uri Avnery

Man sieht ihm sein Alter nicht an. Schlank, mit vollem weißen Haar und Vollbart bewegt Uri Avnery sich noch immer mit fast jugendlichem Elan in seiner Tel Aviver Wohnung, kaum hundert Meter vom Strand entfernt. Nur zum Sprechen nimmt er sich Zeit, macht Pausen und überlegt. "Mein Deutsch ist schon sehr eingerostet", entschuldigt er sich. Am 10. September wird Avnery 90 Jahre alt.

Geboren wurde er 1923 als Helmut Ostermann in Deutschland, im westfälischen Beckum.

Es mag wenige Menschen geben, die so konträre Reaktionen provozieren wie Avnery. Für die einen ist er der unablässige Friedenskämpfer, als der er sich selbst sieht. Für die anderen ist er ein Utopist - oder auch nur ein Spinner. David Ben-Gurion, Israels erster Regierungschef, hasste ihn. Mit dem konservativen Ariel Scharon war er eine Weile eng befreundet. Und Avnery war der erste Israeli, der PLO-Chef Jassir Arafat die Hand reichte.

Die einzigen Überlebenden der Familie

Als Kind durchlebte Avnery den Aufstieg des Nationalsozialismus:

"Ich war sehr bewusster Beobachter dessen, was in Deutschland passiert ist", sagt er. Noch im Jahr von Hitlers Machtergreifung, 1933, emigrierten die Ostermanns nach Palästina. Sie blieben die einzigen der gesamten Familie, die nach dem Krieg noch am Leben waren.

"Ich habe keine Ressentiments", sagt Avnery, der schon 1957 wieder nach Deutschland reiste. Nur seinen deutschen Namen wollte er nicht mehr. «In dem Moment, in dem wir in Jaffa landeten, habe ich aufgehört, Helmut zu sein.» Bevor er Uri Avnery wurde, vergingen indes noch ein paar Jahre. Erst als sein Bruder Werner als Soldat der britischen Armee fiel, machte er daraus Avnery. "Und Uri gefiel mir immer schon."

Überzeugt von der Zwei-Staaten-Lösung

Die Familie war zu arm, um den Jungen das Abitur machen zu lassen.

Außerdem galt es für den 15-Jährigen, die britische Mandatsmacht zu vertreiben. Er schloss er sich der Irgun an, einer radikalen jüdischen Untergrundorganisation, die ab 1943 unter dem Kommando von Menachem Begin stand, Israels späterem Regierungschef.

Ideologisch ging der Jugendliche bald auf Abstand zu Begin. "Meine Freunde und ich wollten unsere Nationalbewegung mit der arabischen Nationalbewegung zusammenschließen, um gemeinsam gegen die Kolonialisten anzugehen." Erst im Unabhängigkeitskrieg 1948 gelangte Avnery zu der Einsicht, dass beide Nationen einen eigenen Staat brauchten. Noch im Krieg verfasst er Berichte für das Abendblatt "Jom-Jom", die später als Buch zusammengefasst sein erster Bestseller werden sollten: "In den Feldern der Philister".

Immer wieder gegen den Strom

So sehr Avnery es genießt, populär zu sein, so sehr schwimmt er doch immer wieder gegen die Mehrheitspositionen an. Als Plattform diente ihm über 40 Jahre lang sein Nachrichtenmagazin "HaOlam ha'se" ("Diese Welt"), das er zwischen 1950 und 1990 herausgab. Es stand in strikter Opposition zu Ben-Gurion, und zwar "auf ganzer Front", wie Avnery sagt.

In den 50er Jahren beginnt auch die Beziehung zu seiner späteren Frau Rachel, die sich um ihn kümmert, als ihm bei einem Überfall auf die Redaktion beide Hände gebrochen werden. 58 Jahre waren die beiden zusammen, bevor Rachel vor zwei Jahren starb. Die Ehe blieb kinderlos.

"Es war die einzige wirkliche Oppositionszeitung im Land", sagt Avnery heute über sein Magazin, "unglaublich verhasst auf der einen Seite und sehr geliebt auf der anderen". Da habe es auch "kleine, aber doch markante Ähnlichkeiten" mit dem Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" in Deutschland gegeben", meint der frühere Herausgeber stolz.

In einem Interview, das er einem deutschen Reporter gab, stellte sich heraus, dass Avnery und "Spiegel"-Gründer Rudolf Augstein in Hannover zusammen die Schulbank gedrückt hatten. Später befreundeten sich die Männer von Neuem.

Freundschaft mit Arafat

1965 nahm Avnery einen Sitz im israelischen Parlament, der Knesset, ein. Mehr als tausend Reden hielt er in den insgesamt zehn Jahren seiner Zeit als Abgeordneter, bis er sich 1981 aus der Politik verabschiedete. Noch im gleichen Jahr startete Israel die Offensive gegen die Fatah im Libanon. Im Schatten der Kämpfe traf Avnery zum ersten Mal mit Palästinenserführer Arafat zusammen. "Es war der Beginn einer wunderbaren Freundschaft", lacht er rückblickend. "Ich habe immer geglaubt, dass man mit Arafat Frieden machten kann und sollte."

Eigentlich möchte er auch im Alter von 90 Jahren noch daran glauben, dass er den Frieden erleben wird. Dabei gibt er dem US-Außenminister John Kerry, der in diesen Wochen als Vermittler unter den Konfliktparteien aktiv ist, kaum eine Chance. "Der arme Kerry", sagt er. "Israel denkt gar nicht daran, die Idee von Groß-Israel aufzugeben und Siedlungen zu räumen."

Trotzdem bleibt der unermüdliche Friedensaktivist optimistisch. Er habe in seinem Leben so viele Dinge erlebt, die nicht vorauszusehen waren, sagt Avnery. "Man weiß nie, welche Kräfte am Werk sind - auch, wenn es heute so aussieht, als steuerten wir geradewegs auf einen Eisberg zu."


Quelle:
epd