Katholische Kirche fordert politische Reformen

"Eine Frage der Menschenwürde"

Der Vertreter der Bischofskonferenz bei der Bundesregierung, Prälat Karl Jüsten, unterstreicht in einem Interview der dpa, wie wichtig ein anderer Umgang mit Zuwanderern ist.

Syrische Flüchtlinge (dpa)
Syrische Flüchtlinge / ( dpa )

dpa: Hat Papst Franziskus schon spürbar neue Impulse für die deutschen Katholiken, für die Christen in Deutschland insgesamt geben können?

Jüsten: Eine ganz wichtige Aussage von Franziskus ist, dass wir als Christen an die Ränder der Gesellschaft gehen sollen. Damit greift er eine Kernbotschaft des Neuen Testaments auf, nämlich dass Jesus uns zu den Armen gesandt hat.

Das stärkt sicher die Arbeit unserer Hilfswerke – wie etwa die der Caritas und die von Misereor -, das stärkt aber auch unsere Arbeit hier im Katholischen Büro. Wir sehen unseren Auftrag darin, uns für jene einzusetzen, die ansonsten keine Fürsprecher haben.

Franziskus selber hat Zeichen gesetzt mit seinem Besuch auf Lampedusa und uns darin gestärkt, dass wir uns auch in Deutschland für die Migranten und Asylbewerber einsetzen. Insbesondere mahnt er die Europäer an, ein vernünftiges neues Zuwanderungsrecht zu entwickeln, das auch die Lasten in Europa fair verteilt.

dpa: Wie sehen Sie die Position der Sozialeinrichtung Caritas in Deutschland?

Jüsten: Im Bereich der professionellen Caritas steht sie vor neuen Herausforderungen wie etwa die starke Konzentration im Krankenhausbereich. Hier fällt es manchmal schwer, die Entwicklungen nachzuvollziehen, die uns betriebswirtschaftlich Logiken abringen. Im Bereich der Gemeindecaritas dürfen wir für das große ehrenamtliche Engagement vieler dankbar sein. Das muss immer neu gestärkt werden.

dpa: Leere Kassen der Kommunen, wirkt sich das auf die Caritas aus?

Jüsten: Leere Kassen der Kommunen spüren wir bei den Kindergärten, bei den ein oder anderen Jugendeinrichtungen. Auch im Bereich der Migrantenarbeit spüren wir das. Überall da, wo Kommunen gesetzlich nicht verpflichtet sind, Leistungen zu erbringen, spüren wir, dass sie sich zurückziehen. Und da fänden wir es schon gut, wenn in der kommenden Legislaturperiode die Kommunen finanziell besser ausgestattet würden.

dpa: Wieweit ist die Tendenz in der katholischen Kirche verbreitet, sich auf den Kreis Gleichgesinnter zurückzuziehen?

Jüsten: Der Weg der Kirche kann nicht der sogenannte Rückzug in die heile Welt sein. Aber ohne die Besinnung auf den Glauben und eine persönliche und lebendige Gottesbeziehung fehlt Entscheidendes. Aus dem Glauben und dem Gebet ziehen wir unsere Kraft. Diese Kraft dient auch dazu, Gesellschaft zu gestalten. Wenn wir Gesellschaft gestalten, dann, das sagt uns auch Franziskus, radikal aus dem Geist des Evangeliums. Wir sind aufgefordert, in aller Offenheit und Liebe auf die Menschen zuzugehen, in jeder Situation bei ihnen zu sein und unseren Glauben zu verkünden und die christliche Liebe zu leben. Da steckt sehr viel Sprengkraft drin, auch in einer Gesellschaft wie der unsrigen, wo scheinbar alles geordnet ist.

dpa: Können Sie das an einem konkreten Beispiel erläutern?

Jüsten: Ich komme nochmal auf das Beispiel der Migration zurück. In unserem Land hat es jetzt ein Verfassungsgerichtsurteil gegeben, wonach die Leistungen an Asylbewerber noch einmal überprüft werden müssen. Wir treten dafür ein, dass die Asylbewerber nicht von den Leistungen abgekoppelt werden dürfen, die auch in Deutschland die Hartz-IV-Empfänger bekommen. Das ist eine Frage der Menschenwürde.

dpa: Bedeutet das Familienpapier der evangelischen Kirche möglicherweise einen Rückschlag für die Ökumene?

Jüsten: Die evangelische und katholische Kirche haben im Verständnis von Ehe und Familie immer recht dicht beieinander gestanden, insbesondere was ihre Bedeutung für die Gesellschaft anbetrifft. Wenn nun eine Kirche andere Akzente setzt, weil sie neue Wege gehen möchte, dann ist es schon eine Herausforderung für die Ökumene, vor allem wenn man es alleine tut, ohne vorher miteinander zu sprechen.

Das Papier hat allerdings so viele Schwachstellen, dass es mehr eine Belastung für die evangelische Kirche selbst ist als für die Ökumene. Viele in der evangelischen Kirche sagen, dass es noch einmal überarbeitet werden muss.

dpa: Was empfehlen Sie dem Bürger für die Bundestagswahl am 22. September?

Jüsten: Den deutschen Bischöfen ist wichtig, dass die Bürger zur Bundestagswahl gehen, dass sie sich selbst ein Urteil bilden, welcher Partei sie ihre Stimme geben wollen. Wichtiges Thema für die Kirche ist die Staatsschuldenkrise. Hier ist Solidarität gefordert. Weiterhin ist die Familienpolitik wichtig. Ehe- und Familien sollen stabilisiert werden. Zentral ist für uns auch der Schutz des Lebens. Da muss man sich die Vorstellungen der Parteien anschauen. Weiteres großes Thema ist die Flüchtlingspolitik. Die katholische Kirche ist dankbar, dass der Syrienkonflikt nun wohl hoffentlich nicht zum Wahlkampfthema wird.


Quelle:
dpa