Islamisten in Ostafrika nehmen den Westen ins Visier

Terrorimport aus Somalia

Wer Muslim ist, durfte fliehen: Die Terroristen in Kenia haben ihr Ziel bewusst ausgesucht. Das erstürmte Einkaufszentrum steht für westlichen Lebensstil. Mit dem Anschlag demonstriert die zerstrittene Shabaab-Miliz aus Somalia ungebrochen Stärke.

Autor/in:
Marc Engelhardt
Kenia: Islamisten kamen aus Somalia (dpa)
Kenia: Islamisten kamen aus Somalia / ( dpa )

Wenn das junge, prosperierende Kenia ein Wahrzeichen hat, dann ist es das Westgate-Zentrum: Wer zur wachsenden Mittelschicht des Landes gehört, kommt ebenso hierher wie Touristen, die in den Läden westlicher Modelabels shoppen, Sushi essen oder einen Latte Macchiato schlürfen. Und wenn Samstags Hüpfburg und Kinderkochstudio aufgebaut sind, strömen besonders viele Menschen in die mit Glas, Chrom und Gold dekorierte Mall. Das wussten die Terroristen, die das Gebäude am Samstag stürmten und wild um sich schossen.

Mindestens 68 Menschen kamen bisher ums Leben. Wer fliehen konnte, berichtet von blutigen Szenen. Nahashon Mwangi erhielt am Samstagmittag einen Hilferuf seines Sohnes: "Papa, sie haben mir in die Schulter und in die Hand geschossen, ich blute - komm bitte, hol mich hier raus." Als er zurückruft, flüstert der Sohn ins Telefon: "Ruf nicht an - wenn die mich reden hören, bringen sie mich um." Erst nach Stunden gelingt dem Verletzten die Flucht.

Der Anschlag auf das Westgate-Einkaufszentrum scheint gut vorbereitet. Augenzeugen sehen, wie am Samstag gegen 13 Uhr zwei Autos vor der Mall halten. 10 bis 15 Kämpfer seien gezielt losgelaufen und hätten von zwei Eingängen aus auf Besucher geschossen. Muslime wurden aufgefordert, aus dem Einkaufszentrum zu fliehen, wie es heißt. Einige hätten Koransuren aufsagen müssen. "Ein Mann neben mir wurde niedergeschossen, weil er nicht wusste, wer Mohammeds Mutter ist", sagt eine Inderin einem örtlichen Radiosender.

Unter den Toten und Verletzten sind zahlreiche Ausländer. Für die Shabaab war das Einkaufszentrum auch deshalb ein Ziel: Die Islamisten haben den Westen und seinen Lebensstil im Visier. Das garantiert internationale Aufmerksamkeit. Zudem hat das Westgate israelische Eigentümer. Private Sicherheitsfirmen kontrollierten die Besucher an den Eingängen, doch sie waren unbewaffnet.

Spätestens seit November 2011, als Kenias Truppen in Somalia einmarschierten, um gegen die islamistische Shabaab zu kämpfen, war mit einem Anschlag dieser Art gerechnet worden. Doch mit der Zeit ließ die Furcht nach, zudem schien die Shabaab nach internen Streitigkeiten und militärischen Rückschlägen in Somalia geschwächt.

Inzwischen zweifelt kaum noch jemand, dass tatsächlich die Shabaab hinter dem Anschlag steckt. Man stehe im Kontakt mit den Kämpfern, die sich auch am dritten Tag der Tragödie mit Geiseln im Einkaufszentrum verschanzt hatten, erklärt Abu Omar, ein Militärkommandeur der Shabaab in Kismayo, am Montag einem BBC-Reporter. "Wir haben ihnen befohlen, mit niemandem zu verhandeln."

Keine Rückkehr zur Normalität

Omar hofft, dass Kenia unter dem Druck des Terroranschlags seine Truppen aus Somalia abzieht. Seit Tagen versucht die Shabaab, die südsomalische Stadt Kismayo zurückzuerobern - ohne Erfolg. Wenn die Kenianer abzögen, könnte das Blatt sich wenden. Die Hafenstadt ist für die Shabaab existenziell wichtig: Alleine mit der Verschiffung von Holzkohle verdienten die Islamisten Millionen, um den Kampf gegen die somalische Regierung zu finanzieren.

Für Shabaab-Chef Achmed Abdi Godane, genannt Abu Zubeir, ist das Attentat zudem die Gelegenheit, seine Position in der zerstrittenen Shabaab zu festigen. Kürzlich hat er mehrere Widersacher getötet, andere flohen. Der Shabaab drohte die Spaltung entlang Clanlinien - und der Entzug der dringend benötigten Unterstützung durch das Terrornetzwerk Al-Kaida, die Abu Zubeir Desinteresse am globalen Dschihad vorwirft. Der Anschlag in Nairobi dürfte die Kritiker vorläufig verstummen lassen.

Eine Rückkehr zur Normalität in Kenia wird schwer. Shabaab-Sprecher Ali Mohamoud Rage kündigte an: "Kenia wird keinen Frieden haben, bevor das kenianische Militär aus Somalia abgezogen ist." Dagegen setzt der kenianische Präsident Uhuru Kenyatta auf Härte: "Kenia wird unbesiegbar bleiben, so wie die Löwen in unserem Wappen." Die Angst vor Anschlägen droht auch die Wirtschaft zu treffen, die sich gerade von den Unruhen nach der Wahl 2007 erholte.


Quelle:
epd