Studie über Angriffe auf Christen in Ägypten

Die Gewalt kommt immer in Wellen

Eine Studie über Angriffe auf koptische Christen am Nil beleuchtet die Ursachen und fragt, wer davon profitiert. Der Bischof von Minya entkommt unterdessen knapp einem Anschlag.

Anba Makarius / © privat
Anba Makarius / © privat

Für die anhaltende Gewalt gegen Christen in Ägypten sind einer Studie zufolge häufig Gerüchte oder Nachbarschaftskonflikte Auslöser. "Es hat immer wieder Wellen von Angriffen auf Christen gegeben. In den letzten Monaten der Regierung von Präsident Hosni Mubarak 2010 und Anfang 2011 war es besonders schlimm", sagt Ishak Ibrahim, der die Studie für die Organisation "Ägyptische Initiative für Persönlichkeitsrechte" erstellt hat.

Diese Gewalteskalation sei nochmals übertroffen worden unter der Militärregierung 2011, sagt der Menschenrechtsexperte. "Unter Präsident Mohammed Mursi gingen die Angriffe zunächst zurück, dafür wuchs aber die Belästigung von Christen im Alltag und damit die Angst." Zur einer neuen Gewaltwelle sei es mit den wachsenden Protesten gegen Mursi gekommen. "Führer der Muslimbruderschaft behaupteten immer wieder, dass die Mehrheit der Demonstranten Christen seien, die Mursi aus religiösen Gründen stürzen wollten", sagt Ibrahim, dessen Studie die Hintergründe der Ausschreitungen untersucht.

Islamistische Propaganda

Diese Propaganda habe nach dem Sturz Mursis im Juli Früchte getragen: "Die Anhänger Mursis gaben den Christen die Schuld für den Sturz ihres Präsidenten, und so kam es zu zahlreichen Angriffen", sagt Ibrahim. Ziel der Bruderschaft sei gewesen, die Christen dazu zu bringen, das Ausland um Einmischung zu bitten. Auch die neue Regierung habe die Gewalt gegen Christen für ihre Ziele benutzt. Den Sicherheitskräften hätten sie einen guten Vorwand geliefert, hart gegen die Islamisten vorzugehen, erläutert Ibrahim.

Derzeit komme es vor allem in der oberägyptischen Region Minya zu Übergriffen gegen Christen, während sich die Lage im Rest des Landes weitgehend beruhigt habe. "Die Islamisten haben derzeit keine Zeit. Sie werden verhaftet und sind in Kämpfe und Demonstrationen mit der Regierung verstrickt", sagt der Menschenrechtsexperte.

Von den knapp 90 Millionen Ägyptern sind rund zehn Prozent koptische Christen. Viele Christen unterstützten das Militär und wünschten sich General Abdel Fattah al-Sissi als nächsten Präsidenten. "Die Angst vor den Muslimbrüdern ist größer als die vor den Militärs", sagt Ibrahim.

"Alle haben das Recht, in Sicherheit zu leben"

Erst am Montag wurde der Bischof von Minya angegriffen: Er entkam nur knapp einem Anschlag. Als Anba Makarios mit seinem Auto das Dorf Al-Saru nahe Minya erreichte, wurde er von Unbekannten beschossen. Er konnte sich in das Haus eines Bekannten flüchten, die Angreifer folgten ihm und beschossen das Gebäude. Die Sicherheitsbehörden hätten die Verfolgung aufgenommen, wobei es zu Schießereien gekommen sei, berichtete die staatliche Agentur MENA, ohne weitere Details zu nennen.

"Mein persönliches Leben ist nicht mehr wert als das irgendeines anderen in Minya. Alle haben das Recht, in Sicherheit zu leben", verbreitete Bischof Makarios am Mittwoch über den Kurznachrichtendienst Twitter. Hintergrund des Anschlags sollen Gerüchte gewesen sein, wonach der Bischof Makarios eine Kirche habe wiedereröffnen wollen. Sie war nach Ausschreitungen zwischen Muslimen und Christen vor zehn Jahren geschlossen worden.

Sandri: Kirche Ägyptens hat Schlüsselrolle für Nahost-Christen

Die Kirche in Ägypten hat aus Sicht des Vatikan eine Schlüsselstellung für das Christentum im Nahen Osten. Ägypten sei das Land mit den meisten Christen der Region, und sie seien integrativer Bestandteil der Gesellschaft, sagte Kardinal Leonardo Sandri in einem Interview mit der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) am Mittwoch in Rom. Gemeinsam mit den muslimischen Mitbrüdern wollten sie für eine bessere Zukunft für die Jugend und die Familien eintreten.

Ausdrücklich verurteilte der Kardinal die Übergriffe gegen Christen. Allerdings seien nicht "die Muslime" Schuld, sondern extremistische Minderheiten. Diese gefährdeten die Tradition des friedlichen Zusammenlebens im Land und zwischen den Religionen.

Der für die katholischen Ostkirchen zuständige Kurienkardinal, der während seines Deutschlandbesuchs am kommenden Samstag auch die chaldäische Gemeinde in Essen besuchen wird, bat die Christen um Solidarität mit ihren Glaubensbrüdern aus Nahost. Man müsse beobachten, ob die ostkirchliche Präsenz in der Diaspora von Dauer sei. "Wenn dem so ist, dann verlangen das Zweite Vatikanische Konzil und die Rechtsordnung der Kirche einen besonderen Respekt gegenüber den katholischen Ostkirchen, auch was die pastoralen Strukturen angeht", hob Sandri hervor.

Papst Franziskus, der wie Sandri Italo-Argentinier ist, messe den katholischen Ostkirchen eine herausragende Rolle zu, betonte der Kardinal. Demnächst werde er mit den Kirchenoberhäuptern im Vatikan zu einer gemeinsamen Versammlung zusammentreffen, kündigte er an. "Ich denke, dass die katholischen Ostkirchen, wie es das Zweite Vatikanische Konzil formuliert, eine besondere ökumenische Berufung haben, nämlich Modell der sichtbaren Einheit zu sein - und zwar in der Vielfalt", sagte Sandri.


Quelle:
epd , KNA