KNA: Herr Schockenhoff, wie bewerten Sie die neue Handreichung zur Seelsorge für geschiedene und zum zweiten Mal verheiratete Katholiken?
Schockenhoff: Es ist eine ausgestreckte Hand hin zu den Menschen, denen es nach Scheidung und Eingehen einer zivilen Zweitehe bislang schwer fiel, den Kontakt zur Kirche zu halten. An sie geht nun eine offene Einladung, ohne Einschränkung nicht nur am Gottesdienst, sondern auch am sakramentalen Leben teilzunehmen und die Kommunion zu empfangen, was die Kirche als den Höhepunkt und die Quelle des christlichen Lebens bezeichnet. Und Wiederverheiratete werden künftig auch nicht mehr von vornherein abgewiesen, wenn sie für ihren Lebensweg um den Segen der Kirche bitten.
KNA: Was ändert sich nun aber wirklich? Vielerorts war das, was die neuen Leitlinien formulieren, ja bereits gängige Praxis?
Schockenhoff: Das ist zwar richtig, aber weil es nun auch in einer Handreichung des Seelsorgeamtes vorgeschlagen wird, erhält es eine ganz andere öffentliche Dimension. Diejenigen, die die Kommunion in dieser Lebenssituation empfangen, wissen nun, dass sie dazu auch amtlich eingeladen sind, und dass sie nicht etwa für sich einen Sonderweg in Anspruch nehmen, der ihnen eigentlich verwehrt sein sollte. Das ist ein wichtiger, bedeutender Schritt. Damit hat die Erzdiözese Freiburg eine Vorreiterrolle in der Kirche in Deutschland eingenommen. Es ist zu hoffen, dass nun diesem Schritt viele weitere Diözesen folgen.
KNA: Bislang hieß es aber in vielen deutschen Bistümern, ohne oder gar gegen Rom können wir nichts machen...
Schockenhoff: Durch Papst Franziskus hat sich aber das Verhältnis zwischen Vatikan als Zentrum und den Kirchen vor Ort geändert. Franziskus will den Ortskirchen offensichtlich einen größeren Freiraum für eigene Entscheidungen - auch im Gebiet der Seelsorge - zubilligen. Und nun kommt es darauf an, dass die Ortskirchen und die Bischöfe auch bereit sind, diesen Freiraum verantwortlich zu nutzen. Sie sollten aufhören, sich gegenseitig zu belauern und dadurch wichtige Reformschritte zu blockieren. Sie sollten gemeinsam diesen Weg gehen, den nun ein Bistum vorangegangen ist.
KNA: Vor 20 Jahren gab es bereits einmal eine ähnlich Initiative des damaligen Freiburger Bischofs, gemeinsam mit seinen Bischofskollegen in Rottenburg-Stuttgart und Mainz, die vom Vatikan gestoppt wurde. Könnte es heute auch wieder soweit kommen?
Schockenhoff: Gegenwind kann es immer geben. Es ist auch noch nicht ganz abschätzbar, wie weit die Initiativen von Papst Franziskus in der Kurie Unterstützung finden. Aber etwaigem Gegenwind muss man eben die Stirn bieten. Wenn etwas theologisch wohl begründet ist und sich in der seelsorglichen Erfahrung vielfach bewährt hat, dann ist die Zeit einfach reif, einen Schritt zu gehen.
KNA: Eine Frage, bei der die neuen Leitlinien auf die Bundesebene der Bischofskonferenz verweisen, ist das kirchliche Arbeitsrecht. Wie könnte es hier weitergehen?
Schockenhoff: Hier erhoffe ich mir eine katalysatorische Wirkung der neuen Handreichung. Denn im kirchlichen Dienstrecht ist bislang für Beschäftigte, die eine zivile Zweitehe - oder auch eine gleichgeschlechtliche Partnerschaft - eingehen, bislang eine automatische Kündigung vorgesehen. Eben weil man argumentiert, das widerspreche den Loyalitätspflichten, die von einem kirchlichen Mitarbeiter erfordern, in seiner Lebensführung die Morallehre der Kirche einzuhalten. Wenn nun aber die Kirche in ihrem inneren sakramentalen Leben Menschen in dieser Lebenssituation nicht mehr zurückweist, dann sollte dies doch auch in den äußeren Bereichen des Dienstrechts gelten, und ein Verstoß gegen Loyalitätsverpflichtungen nicht mehr automatisch die Kündigung nach sich ziehen.
KNA: Die Bischofskonferenz hat für diese Fragen eine Arbeitsgruppe eingesetzt...
Schockenhoff: Ja und ich hoffe, dass es nun Rückenwind gibt für Änderungen. Aber auch Organisationen wie die Träger kirchlicher Krankenhäuser, die ja nicht unmittelbar abhängig von der Bischofskonferenz sind und eine Eigenverantwortung in diesem Bereich tragen, können sich jetzt ermutigt fühlen, künftig auf Kündigungen zu verzichten.
KNA: Kritiker aber könnten einwenden, dass die Handreichung die kirchliche Lehre von der Unauflöslichkeit der Ehe beschädigt und aufweicht.
Schockenhoff: Das sehe ich nicht so, gerade das Gegenteil ist richtig: Nur dadurch, dass die Kirche auch einen Umgang mit Scheitern und Schuld ermöglicht, der nicht einfach das endgültige Aus für eine Teilnahme am kirchlichen Leben bedeutet, nur indem sie Barmherzigkeit zeigt, nur dadurch macht sie das Ideal der unauflöslichen Ehe auch erreichbar und praktikabel. Und dadurch nimmt sie vielen die Scheu, eine Ehe überhaupt zu wagen. Die Spannung zwischen einem moralischen Ideal, einem unaufgebbaren Prinzip und seiner konkreten Realisierung gehört in einer auch durch Brüche und Schwierigkeiten gekennzeichneten Lebenswirklichkeit eben immer zum Leben und zur Moral dazu.
KNA: Erwarten Sie von den Neuerungen auch eine Signalwirkung für weitere Reformwünsche in der katholischen Kirche?
Schockenhoff: Bei den wiederverheiratet Geschiedenen ist jetzt ein wichtiger Schritt nach vorne gelungen. Aber einen automatischen Zusammenhang zwischen einzelnen Reformforderungen möchte ich nicht herstellen. Dennoch ist atmosphärisch nicht zuletzt durch Papst Franziskus ein Aufbruch in vielen Bereichen spürbar. Und da darf man durchaus hoffen, dass es auch in anderen Bereichen noch zu weiteren Schritten kommt.