Feierliches Pontifikalamt für den Frieden in Nicolaikirche

200 Jahre Völkerschlacht

Die Völkerschlacht gilt als größte und blutigste Schlacht bis zum Ersten Weltkrieg. Zum 200. Jahrestag heißt das Motto "Versöhnung". Am Sonntag ist ein Friedensgottesdienst mit Bischof Koch in der Nicolaikirche geplant.

200 Jahre Völkerschlacht (dpa)
200 Jahre Völkerschlacht / ( dpa )

Wie ein Raubvogel blickt der steinerne Erzengel Michael, Schutzpatron der Deutschen, den Besuchern des Völkerschlachtdenkmals in Leipzig entgegen. Über der Statue erhebt sich das massige Denkmal. 1913 fertiggestellt, sollte es an den vermeintlichen Aufstand des deutschen Volkes gegen Napoleons Vorherrschaft und an den Sieg in der Völkerschlacht 1813 erinnern. "Dabei", sagt Steffen Poser, Leiter des Völkerschlachtdenkmals, "war die Völkerschlacht nichts weniger als ein deutscher Volksaufstand. Mit viel gutem Willen könnte man von einem preußischen Volksaufstand sprechen."

Vielfach politisch instrumentalisiert

Jede Zeit und jedes politische System hat sich das blutige Ereignis vor den Toren Leipzigs zurechtgedeutet. Der 200. Jahrestag der Völkerschlacht lässt die Frage nach der Einordnung der gewaltigen Schlacht neu aufkommen. "Wir sprechen nicht von einem Jubiläum, sondern von einem Erinnern und Gedenken an die Völkerschlacht. Wir wollen darstellen, dass es sich um ein sehr ernstes Kapitel der deutschen und europäischen Geschichte handelt", sagt Volker Rodekamp, Direktor des Stadtgeschichtlichen Museums in Leipzig und Organisator der Veranstaltungen zum runden Jahrestag der grausamen Schlacht .

Vom 16. bis 19. Oktober 1813 kämpften die verbündeten Truppen Preußens, Russlands, Schwedens und Österreichs gegen die Armeen Napoleons. 500.000 Soldaten standen auf den Schlachtfeldern. Die Verluste waren gewaltig: Mehr als 90.000 Mann kamen ums Leben. Am Ende müssen die Franzosen geschlagen abziehen. Die Völkerschlacht reiht sich damit in eine Kette von Niederlagen Napoleons - vom verheerenden Russlandfeldzug 1812 bis zur letzten Schlacht in Waterloo (Belgien) 1815.

Schon während der Völkerschlacht meldeten sich patriotische Stimmen zu Wort, die das Geschehen als nationale Emanzipation der Völker deuteten, sagt der Leipziger Historiker Frank Britsche. Das allerdings sei nicht das Ziel der beteiligten Herrscher gewesen. "In der Völkerschlacht war das Kriegsziel, die legitime Ordnung Europas herzustellen. Sie war im Grunde genommen ein Kabinetts- und Koalitionskrieg der verbündeten Fürsten, die ihre Macht restaurieren wollten, und weniger ein Kampf der eigentlichen Völker Europas."

"Nachträglich hat man die Völkerschlacht zum deutschen Gründungsmythos stilisiert", sagt Britsche. "Das ist aber eine genuin deutsche Perspektive. In der französischen Perspektive war es ein bloßer Rückzug aus Leipzig. Leipzig war eine Episode. In der deutschen Erinnerungskultur wurde die Völkerschlacht zu einem Gründungsmythos verklärt, zu einer beginnenden Nationalbewegung, zu einem nationalen Heldenmythos."

Organisatoren: Kein Platz für Revanchismus

Die deutsch-nationalen Töne werden in der Mitte des 19. Jahrhunderts lauter. Am mächtigen, auch etwas düsteren Völkerschlachtdenkmal lässt sich gut nachvollziehen, wie man 100 Jahre später der Völkerschlacht gedachte: "Man wollte den einigenden Kitt der Befreiungskriege ausgießen", sagte Leiter Poser. Das Denkmal sollte explizit auch nur an die deutschen Gefallenen der Schlacht erinnern.

Zum 200. Jahrestag der Völkerschlacht betonen die Organisatoren der Gedenkfeiern dagegen die europäische Dimension der Schlacht und setzen auf Versöhnung. "Hier geht es nicht um Revanchismus, hier geht es nicht um die Nationenwerdung der Deutschen, nicht um die Abstreifung der Repression unter Napoleon", sagt Koordinator Rodekamp. "Hier geht es um Aufklärungsarbeit, hier geht es um ein neues Verständnis für Vergangenheit. Wir müssen eine Brücke bauen, aus dem Wissen der Vergangenheit heraus, in eine bessere, zumindest friedvolle und nicht mehr kriegerische Zukunft der Menschen in Europa."

Friedensakt am restaurierten Völkerschlachtdenkmal

Mit Appellen für Frieden und Freiheit ist am Freitagabend das restaurierte Leipziger Völkerschlachtdenkmal feierlich übergeben worden. Ehrengäste pflanzten sogenannte Friedensbäume. Der Festakt war zugleich einer der Höhepunkt der Gedenkwoche für einen der schlimmsten Kriege Europas. Jugendliche aus Estland, Schweden, Großbritannien, Frankreich, Italien, den Niederlanden, Österreich, Polen, Russland, Schweden und Deutschland verlasen gemeinsam eine Friedensbotschaft. Das nun restaurierte 100 Jahre alte Denkmal war für rund 120 Millionen Euro saniert worden.

Der frühere tschechische Außenminister Karel Schwarzenberg unterstrich in seiner Festrede die Instabilität heutiger Gesellschaftsordnungen. "Können wir uns so sicher sein, dass unsere Kinder schlauer sind als unsere Großeltern", fragte der frühere tschechische Außenminister. In Europa seien auch heute wieder antidemokratische Kräfte erstarkt, fügte er hinzu.

Schulz: Re-Nationalisierung breitet sich in Europa aus

Auch der Präsident des Europäischen Parlaments, Martin Schulz, warnte bei dem Festakt vor wachsenden Ressentiments in der Gesellschaft. "Mit großer Sorge beobachte ich, wie sich in Europa wieder eine Re-Nationalisierung ausbreitet", sagte Schulz. Die Krise drohe die Europäer auseinanderzutreiben. Längst überwunden geglaubte Vorurteile über andere Völker oder gar Feindbilder seien wieder auf dem Vormarsch, was sich etwa an der Hetze gegen die Roma zeige. "Wir alle müssen einschreiten gegen die Rückkehr von Denkweisen, die immer nur Unglück über die Völker Europas gebracht haben", sagte Schulz weiter.

Für den sächsischen Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU) sollte das Völkerschlachtdenkmal daran erinnern, nicht mehr gegeneinander Krieg zu führen, sondern "gemeinsam am Haus Europa zu bauen." Er hoffe, dass die heutige Deutung des Völkerschlachtdenkmals auch für die nachfolgenden Generationen maßgeblich ist. Es gehe darum, "Frieden und Freiheit zu bewahren und nicht zu vergessen, welche Opfer es kostet, diese zu erlangen und welches Leid es bringt, diese wieder zu verlieren".


Quelle:
dpa , DR