Roma haben angeblich ein Kind verschleppt. Die Berichterstattung war eindimensional

"Da hat man tiefsitzende Klischees belebt"

Ein blondes Mädchen bei einer Roma-Familie in Griechenland. Die Behörden vermuteten Verschleppung, es folgte ein medialer Aufschrei. Romani Oskar Rose, Vorsitzender der Sinti und Roma in Deutschland, fordert im domradio.de-Interview eine Debatte über Rassismus und Diskriminierung.

Ein Roma-Paar in Griechenland mit dem Mädchen Maria (dpa)
Ein Roma-Paar in Griechenland mit dem Mädchen Maria / ( dpa )

domradio.de: Sie haben heute in der Bundespressekonferenz sich zu diesen Vorfällen in Griechenland und Irland geäußert und sich sehr besorgt gezeigt. Was ist da schiefgelaufen?

Rose: Dass dieser Vorwurf, der von griechischen Justizbehörden erhoben worden ist gegen eine Roma-Familie, eben auch mit deren kulturellen Identität nach außen hin gekennzeichnet worden ist. Es waren Griechen gewesen, diese Roma sind Griechen, sie leben seit Jahrhunderten in Griechenland. Damit hat man diesen Vorwurf ethnisch gekennzeichnet und alte, tief in der europäischen Geschichte sitzende Klischees belebt, die schon immer den Roma nachgesagt haben, sie nehmen die Kinder mit.

domradio.de: Fühlen Sie sich jetzt als ethnische Gruppe insgesamt diskriminiert?  

Rose: Die Roma und Sinti sind in Europa durch diesen Vorfall insgesamt an den Pranger gestellt worden. Ich habe hunderte von Anrufen bekommen von Roma-Menschen, die gesagt haben, wir schämen uns, was jetzt hier passiert ist. Ihre Kinder haben Schwierigkeiten in der Schule. Es war eine beängstigende Situation durch die Form der Berichterstattung, die ja viel weiter noch geführt worden ist, also national hier in Deutschland, wo einige sogar so weit gegangen sind, den Zusammenhang zu  Kindesmisshandlung, Kindesmissbrauch, Organhandel usw. herzustellen. Und wissen Sie, in einem Rechtsstaat hat nur der Einzelne für sich sein Fehlverhalten zu verantworten und nicht seine Gruppe. Man würde heute nie mehr dazu übergehen, jemand zu beschuldigen und das an der Religion festzumachen, wie es die Nazis im Falle der Juden getan haben. Und der damalige Reichsinnenminister hat angeordnet, bei der Verurteilung von Nicht-Ariern, das waren Juden und Zigeuner, wie es damals hieß, die rassische Zugehörigkeit in der Berichterstattung hervorzuheben.  

domradio.de: Das heißt, Sie werfen sogar rassistische Grundmuster vor?

Rose: Ich werfe hier in diesem Fall rassistische Grundmuster vor. Ich möchte eines betonen, und das sage ich mit allem Respekt, es hat Journalisten gegeben, die eine Korrektur vorgenommen haben, die das Ganze eben auch sehr bedauert haben in Artikeln, die sie dann im Nachhinein geschrieben haben. Unser Appell ist dahingehend, den Rechtsstaat auch gegenüber unserer Minderheit zu überdenken. Wir empfinden das Ganze als ein Stück weit Renaissance von tiefsitzenden Klischees aus den vergangenen Jahrhunderten, die bis ins Mittelalter zurückreichen, wo Sinti und Roma eben Sündenböcke für die Obrigkeit gewesen sind und diese Funktion mit all diesen Klischees, die hat uns sehr viel Leid gebracht in der Vergangenheit. Ich denke, wir leben heute im 21. Jahrhundert, in einer Zivilisation, und da müssen auch  Journalisten kritisch hinterfragen und nicht einfach Polizeimeldungen übernehmen, die Rassismus beinhalten. Also, Roma hätten ein blondes, weißes Kind. Dürfen wir keine blonden und weißen Kinder haben?

domradio.de: Kommen wir trotzdem noch einmal auf diesen Fall in Griechenland zurück. Jetzt ist ja bei diesem DNA-Test herausgekommen, dass Maria, dieses blonde Mädchen, was durch die Welt ging als Foto, tatsächlich illegal bei den Eltern war und auch die Mutter in Bulgarien hat man schreien sehen, dass sie ihr Kind zurückhaben will. Alles so ganz richtig gelaufen ist es auch nicht.

Rose: Ich will mich jetzt nicht in die inhaltliche Diskussion hineinbegeben, weil ich das von hier aus auf keinen Fall beurteilen kann. Tatsache ist, dass das Kind nicht geraubt worden ist, sondern die Mutter hat das Kind in Griechenland geboren. Sie war eine Bulgarin und sie hat eingeräumt, dass sie das Kind an eine Familie übergeben hat. Ob es jetzt diese Familie oder eine andere Familie ist, kann ich nicht objektiv beurteilen. Fest steht, dass dieses Kind eben hier bei dieser Familie war, dass die Adoption eben keine Adoption des Staates gewesen ist. Aber ich möchte Ihnen das eine sagen, diese Dinge sind in Osteuropa an der Tagesordnung und das sind sie eben auch in Bezug auf die Urkunden. Da muss einiges getan werden und das ist natürlich nicht akzeptabel.

domradio.de: Sie fordern jetzt in Deutschland den Bundestag auf, sich mit diesem Thema zu befassen und eine Expertenkommission einzusetzen. Was versprechen Sie sich davon?

Rose: Nicht nur mit diesem Thema, sondern insgesamt. Wissen Sie, wir verspüren eine Renaissance von Rassismus gegenüber unserer Minderheit und es gibt eine deutsche Verantwortung aus der Geschichte. Diese Verantwortung zeigt sich darin, dass man den Antisemitismus ächtet und in einem solchen Fall hätte es eine Reihe von Persönlichkeiten in diesem Land gegeben, wenn die Vorwürfe an die jüdische Adresse gegangen wären, die den Antisemitismus, den Rassismus in dieser Form zurückgewiesen hätten. Der Herr Benz vom Antisemitismus-Institut in Berlin hat heute gesagt, dass 1946 ein ähnlicher Vorwurf gegenüber jüdischen Menschen erhoben worden ist, nämlich der Kindesentführung. Und da hat es ein kleines Pogrom gegeben nach Auschwitz. Das darf man in Deutschland, in Europa, in der Europäischen Union nicht verantworten. Und dieser Bericht soll sich ja nicht auf diesen Fall beziehen, sondern insgesamt einmal pro Legislaturperiode soll der Rassismus Gegenstand einer Diskussion, einer Untersuchung im Deutschen Bundestag werden, damit man entsprechende Maßnahmen ergreifen kann, wo man die Ursachen dafür einfach sieht.

Das Interview führte Matthias Friebe.


Quelle:
DR