domradio.de: Wie kann das denn sein, dass die evangelische Kirche selber gar nicht weiß, was sie da feiert?
Thielmann: Ich bemerke jedenfalls eine gewisse Hilflosigkeit, wenn es darum geht, zu sagen, was wollen wir denn 2017 feiern, wenn die Reformation, also der Anschlag der Thesen an die Wittenberger Schlosskirchentür 500 Jahre alt wird. Es tagen im Augenblick eine Menge Gruppen und versuchen eine oder die zentrale Botschaft zu formulieren und da merken viele Gremien, dass es ihnen gar nicht leichtfällt. Das habe ich aufgegriffen und habe angemahnt, allmählich müsste man das jetzt mal herausgearbeitet haben.
domradio.de: Die Reformation ist ja an einen ganz bestimmten Mann gebunden, an Martin Luther, den großen Reformator. Vielleicht geht`s um den?
Thielmann: Ja, mit Sicherheit, aber die Frage ist, was will man von ihm in den Vordergrund stellen. Martin Luther ist eine ganz, ganz vielschichtige Persönlichkeit. Er war ein genialer Grobian, er hat die Medien, die neuen Medien seiner Zeit unglaublich genutzt. Er hat gemerkt, da war eine Möglichkeit, seine Botschaft zu verkündigen, hierarchiefrei, sozusagen, was vorher nicht so möglich war. Da gibt es sehr viele Aspekte, deshalb ist er in früheren Jahren auch ganz verschieden gefeiert worden und man hat ihn auch manchmal in Anspruch genommen für Botschaften, die er gar nicht gesagt hat.
domradio.de: Das heißt, wie war das in früheren Jubiläumsjahren, wenn Sie sagen, verschieden gefeiert worden?
Thielmann: Ja, man hat ihn zum Beispiel als den deutschen Helden gefeiert, also als den Begründer der deutschen Nation. Dahinter steht, dass er mit seiner Bibelübersetzung eine deutsche Hochsprache überhaupt erst geschaffen hat, die es bis dahin nicht gab. Die Reformation hat die Politik beeinflusst. Die ersten Parlamente in England haben sich nach dem Vorbild der Synoden der reformierten Kirchen gebildet. Da hat sich also politisch auch ganz viel getan. Nur, wenn man das so in den Vordergrund stellt, Luther hatte nicht die Absicht, Deutschland ins Leben zu rufen, er wollte Evangelium verkündigen. Und das war eigentlich seine große, zentrale Entdeckung. Das schlage ich vor, dass man das in den Vordergrund stellt. Er hat sich geplagt mit der Frage, wie kriege ich einen gnädigen Gott? Wie mache ich Frieden mit Gott und Gott mit mir? Und dann war eine große, große Entdeckung, als er sagt, der Glaube an Gott, der Moment, in dem ich mich Gott zuwende und sage, ich hänge mein Herz an dich, da kommt mir Gott entgegen und da brauche ich keine Hierarchie, das ist ein ganz unmittelbares, ganz direktes Verhältnis, dann spricht mich Gott frei und dann steht mein ganzes Leben unter diesem Vorzeichen der Freiheit. Das finde ich eigentlich eine faszinierende Botschaft.
domradio.de: Kommt die evangelische Kirche vielleicht auch deswegen ein bisschen in die Bredouille jetzt, weil wir in Zeiten leben, in denen alle um Ökumene kämpfen?
Thielmann: Ja, und da ist natürlich bei Luther der Ton der Abgrenzung besonders stark. Zu seiner Zeit war die Kirche sehr, sehr mächtig, noch viel mächtiger als sie heute ist. Das heißt, er musste sich schon sehr, sehr wehren gegen den Anspruch einer Kirche, die ihm natürlich sofort vorgeworfen hat, er ist abtrünnig. Er hat immer dagegen gehalten, nein, wir wollen diskutieren. Jetzt muss man sehen, wie man das in Zeiten der Ökumene so formuliert, und das merkt man, das ist gar nicht so einfach. Dass es den Partner von heute nicht mehr trifft, insofern, dass ich sage, ich definiere mich dadurch, dass ich mich von dir abgrenze.
domradio.de: Will man die Katholiken dabeihaben?
Thielmann: Ja, die evangelische Kirche bemüht sich sehr um die Katholiken, allerdings spielt es ihr wieder einen Streich, dass sie noch kein Packende hat für ihre Botschaft. Das fordert die katholische Seite ein, die katholische Seite ist selber, glaube ich, sehr unsicher. Es gibt einige Theologen, die schon ganz viel vorgearbeitet haben, zum Beispiel Otto Hermann Pesch, der gesagt hat, eigentlich trennen uns nur noch ganz, ganz wenige Dinge von Luther. Von Rom her kommt eine andere Ansage. Die sagen, Luther ist der große Spalter, deswegen können wir nichts feiern, sondern da spricht man von einem Reformationsgedenken. Aber die katholische Kirche ist insofern auf einem guten Weg, die will sich nächstes Jahr mit einer großen Theologentagung auf Luther vorbereiten und ihre Vorstellung von Luther ein bisschen klarer machen. Deswegen lobe ich die katholische Kirche an dieser Stelle ein bisschen, die macht sich wirklich Gedanken darum.
domradio.de: Jetzt sind Sie selbst evangelisch, kritisieren aber, dass Sie das Packende für die Botschaft noch nicht gefunden haben. Bedeutet das, Sie feiern das Reformationsjubiläum nicht?
Thielmann: Doch, ich feiere es. Ich sitze auch in ein paar Gruppen, wo ich Rat gebe, wie man es feiern kann. Ich selber bin von der Reformation geprägt. Ich verdanke eben der reformatorischen Frömmigkeit ganz viel. Ich verrate auch noch, ich bin in einer Kirche aufgewachsen, einer Freikirche, die etwas zu den Opfern der Reformation gehörte, weil sie lange Zeit sich nicht frei äußern konnte. Trotzdem sage ich, das, was aus der Reformation gewachsen ist, hat mein Leben geprägt, hat mich Gott nah gebracht. Von daher gibt es für mich viel zu feiern.
Das Interview führte Verena Tröster.