Eine erste Version scheiterte bereits im Oktober im Plenum und wurde an den federführenden Ausschuss für Frauenrechte und Gleichstellung zurücküberwiesen. Treibende Kraft und Berichterstatterin war die sozialistische Abgeordnete Edite Estrela aus Portugal. Die Themenpalette war so groß wie der Titel abstrakt. Es ging um Fragen des Gesundheitswesens im allgemeinen, um Familienplanung und Schwangerschaftsabbrüche im Besonderen.
Heiße Eisen, die vor allem Kirchenvertreter auf den Plan riefen. Noch unmittelbar vor der Abstimmung rief etwa der Familienbund der Katholiken die Parlamentarier auf, den Bericht nicht zu verabschieden. Tags zuvor hatte sich die Deutsche Bischofskonferenz mit dem gleichen Anliegen an die Abgeordneten gewandt. Erzbischof Robert Zollitsch, der Konferenz-Vorsitzende, sprach von einem problematischen Dokument. Wie ein roter Faden ziehe sich die Infragestellung elementarer Menschenrechte wie der Menschenwürde, des Rechts auf Leben und der Gewissensfreiheit durch den Bericht.
Die Gegenposition vertraten Organisationen wie der Humanistische Verband Deutschlands. Jede Person in Europa habe das Recht, "ihre eigenen informierten und verantwortlichen Entscheidungen bezüglich ihrer sexuellen und reproduktiven Gesundheit zu treffen, und ihr Sexualleben frei von Schaden, Gewalt und Diskriminierung zu leben", hieß es in einer gemeinsam mit anderen Verbänden formulierten Erklärung. Angesichts der Tatsache, dass viele EU-Mitgliedstaaten infolge der Finanzkrise am Gesundheitswesen sparten, gelte es, gerade die medizinische Versorgung und die entsprechenden Rechte von Frauen und Mädchen zu stärken.
Breite Front gegen Dokument
Via Internet, mit Mahnwachen und weiteren Presseerklärungen wurde die Debatte weitergeführt. Gegner des Berichts hätten den Europaparlamentariern rund 100.000 Mails geschickt, schätzten die Lebensschützer von European Dignity Watch. Die Organisation sprach von einem "symbolischen Kampf, der heute zugunsten der Demokratie, der Kinder und des Lebens gewonnen wurde". Und sie verwies damit auf einen zusätzlichen Aspekt: Der Estrela-Bericht entstand auf eigene Initiative des Ausschusses, hätte also ohnehin keine rechtlichen Konsequenzen gehabt.
Auch innerhalb des Gremiums selbst war zudem umstritten, ob die EU überhaupt Befugnisse gehabt hätte, in Fragen der sexuellen und reproduktiven Rechte in die Gesetzgebung der Mitgliedstaaten einzugreifen. Viel Lärm um nichts also? Harsch äußerte sich die Luxemburger Abgeordnete der konservativen Europäischen Volkspartei (EVP), Astrid Lulling. Die 84-jährige Doyenne des Europäischen Parlaments, die ebenfalls im Frauenausschuss sitzt, warf ihrer Kollegin Estrela Aktivismus vor - und zeigte sich erfreut, dass das Parlament stattdessen einen alternativen Entschließungsantrag ihrer Fraktion verabschiedete.
Dieser betont, dass sowohl die Festlegung der Gesundheitspolitik, die Organisation des Gesundheitswesens und der medizinischen Versorgung als auch die schulische Sexualerziehung in der alleinigen Zuständigkeit der EU-Mitgliedstaaten bleibt. Es gebe eben noch Parlamentarier, "die nicht Spültücher und Handtücher miteinander verwechseln", so Lulling mit Blick auf die unterschiedlichen Kompetenzen von Mitgliedstaaten und EU.
So oder so: Für die großen Schlagzeilen taugte der Wirbel um den Bericht nicht, auch wenn die aufgeworfenen Fragen vermutlich weiter für Debatten sorgen werden. Die Sitzung des Europaparlaments stand am Dienstag eher und vor allem im Zeichen Afrikas. Mit einer Schweigeminute gedachten die Parlamentarier des verstorbenen südafrikanischen Freiheitskämpfers Nelson Mandela. Am Mittag sprach dann Malis Präsident Ibrahim Boubacar Keita zu den Abgeordneten.