Beim 7. Bundeskongress "Katholische Schulen" der Bischofskonferenz kritisierte deren "Schulbischof" zugleich, das Elternrecht sei "in den bildungspolitischen Debatten der letzten Jahre tendenziell in den Hintergrund getreten". Dagegen werde "der Ruf nach einer umfassenden institutionellen Bildung - möglichst ganztags und vom ersten Lebensjahr an - immer lauter", erklärte Becker. Dies sei "verbunden mit der Hoffnung, die Kinder so weit wie möglich vom Einflussbereich der Eltern fernzuhalten, die doch nur soziale Ungleichheit reproduzieren". Nach Überzeugung der katholischen Kirche habe jede schulische oder sonstige institutionelle Bildung gegenüber dem Erziehungsrecht der Eltern dagegen nur einen unterstützenden Charakter. "Unser institutionelles Bildungssystem muss so gestaltet sein, dass zuerst die Eltern die Möglichkeit haben, ihre Erziehungsverantwortung so umfassend wie möglich wahrzunehmen", sagte der Erzbischof.
Becker warnte auch davor, die Eingliederung behinderter Schüler als "einen neuen, absolut zu setzenden Selbstzweck" zu setzen. Oberstes Ziel müsse "die bestmögliche Bildung für jeden einzelnen jungen Menschen sein". Zugleich unterstützten die Bischöfe aber das Anliegen der UN-Behindertenrechtskonvention, sicherzustellen, "dass das Menschenrecht auf Bildung für alle Menschen "gleichermaßen und in vollem Umfang gilt", betonte der Erzbischof. Auch die katholischen Schulen seien aufgefordert, "kreativ nach tragfähigen Lösungen zur Gestaltung insklusiver Bildung zu suchen".
Öffnung christlicher Bekenntnisschulen
Weiter hält Becker es für nötig, sich zunehmend mit der Frage nach einer Öffnung christlicher Bekenntnisschulen auseinanderzusetzen. Mit Blick auf die Ablehnung eines muslimischen Schülers an einer katholischen Grundschule in Paderborn, sagte Becker, mit dieser Fragestellung müsse man "zunehmend operieren". Gleichzeitig übte er Kritik am Vorgehen der Schule.
"Ich bedaure das sehr", sagte er. Es sei versucht worden, etwas "demonstrativ durchzusetzen". "Das hätte nicht sein müssen. Das hätte anders geregelt werden können", ergänzte Becker. Das Erzbistum habe keinen Einfluss auf diese Entscheidung der Schulleitung und des Trägers gehabt. Das Recht, den Schüler abzulehnen, wurde gerichtlich erstritten. Im September entschied das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen, dass die Ablehnung des Schülers rechtmäßig sei.
Der Berliner Kardinal Rainer Maria Woelki mahnte bei dem Kongress, "im Schulalltag den Blick für das Wesentliche nicht zu verlieren". Diese Gefahr komme aus den immer größeren Erwartungen und dem immer stärkeren Druck mit Blick auf die Schule. Die Gesellschaft brauche jedoch "junge Menschen, die gelernt haben, quer zu denken und bestehende Strukturen kritisch zu hinterfragen" sowie Verantwortung zu übernehmen. Deshalb sei das Engagement in den katholischen Schulen "von unschätzbarem Wert". Bundesweit gibt es 905 allgemeinbildende und berufsbildende Schulen in katholischer Trägerschaft. Dort lernen rund 370.000 Schüler.
Ex-Verfassungsrichter Di Fabio: Staat darf bei freien Schulen nicht beliebig kürzen
Der ehemalige Richter am Bundesverfassungsgericht, Udo Di Fabio, unterstrich auf dem Kongress die Bedeutung freier Schulen für die Bundesrepublik. Aus den Erfahrungen der NS-Zeit hätten die Väter des Grundgesetzes bei der Erlaubnis zur Gründung privater Schulen auch im Kopf gehabt, eine Gleichschaltung der Schulen zu verhindern, sagte Di Fabio. Der Staat dürfe deshalb auch bei Spardruck nicht beliebig bei den freien Schulen kürzen.
Freie Schulen, darunter viele konfessionelle Bildungseinrichtungen, stehen derzeit unter Finanzierungsdruck. Besonders in den östlichen Bundesländern sind Einsparungen geplant. Solange das von Eltern erhobene Schulgeld zur Finanzierung einer Schule aber nicht ausreiche, müsse der Staat ergänzend fördernd eingreifen. Verfassungsrechtlich sei auch nichts dagegen einzuwenden, wenn der Anteil freier Schulen in Deutschland weiter ausgebaut werde, ergänzte Di Fabio.
Der ehemalige Verfassungsrechtler warnte zugleich vor der Gefahr, dass freie Schulen zu einer "heimlichen Segregation der Gesellschaft" beitragen. So sei es verwunderlich, dass gerade in Brandenburg mit einer vergleichsweise niedrigen Kirchenbindung evangelische und katholische Schulen so beliebt seien. Er habe den Verdacht, viele Eltern hofften, dass ihre Kinder dort nicht auf Zuwanderer, beispielsweise muslimischen Glaubens treffen würden. Er forderte besonders christliche Bekenntnisschulen dazu auf, sich ihrer Werte zu besinnen, um "Trittbrettfahrern" vorzubeugen, die in der Schule nur "Kinder aus gutem Hause" antreffen wollen.
Auch Nordrhein-Westfalens Schulministerin Sylvia Löhrmann (Grüne) würdigte die Arbeit freier Schulen, von deren Erfahrungen auch öffentliche Schulen profitieren würden. Auch sie mahnte, Schulen in freier Trägerschaft dürften nicht dazu beitragen, dass sich die soziale Spaltung verstärkt. Allerdings treffe dies in ihren Augen auf christliche Schulen nicht zu. "Dafür bin ich sehr dankbar", sagte Löhrmann.
Der ehemalige Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse (SPD) appellierte an katholische Schulen, ihr Profil als nicht nur wissen-, sondern wertvermittelnde Institutionen weiter zu schärfen. Es müsse bei ihnen unter anderem darum gehen, soziale Kompetenzen zu erlernen und Sinn- und Glaubensfragen zu stellen.