domradio.de: Papst Benedikt XVI. hat Sie zum Erzbischof von Berlin ernannt, er hat Sie zum Kardinal gemacht. Und dann kam der Rosenmontag 2013: Der Papst gibt sein Amt auf. Was haben Sie da spontan gedacht?
Kardinal Woelki: Ich habe das gar nicht für möglich gehalten! Ich habe es nicht geglaubt, mein Generalvikar hatte mir eine SMS geschickt und gefragt, ob ich schon davon gehört hätte. Gerade würde über die Medien gemeldet, der Papst sei zurückgetreten oder wolle an diesem Mittag zurücktreten. Ich habe das ehrlich gesagt für einen Karnevalsscherz gehalten. Ich hatte wie gesagt keinerlei Informationen, und der Papst hat uns alle damit total überrascht.
domradio.de: Wie muss man sich das dann im Tagesablauf eines Erzbischofs von Berlin vorstellen? Klingelt Ihr Handy dann pausenlos, wenn so eine Meldung heraus ist? Wird da alles umgeworfen?
Kardinal Woelki: Das ist in der Tat so: Das Handy klingelte pausenlos und es kamen pausenlos SMS an. Und viele Medien wollten Interviews und Stellungnahmen haben, der Tag war da tatsächlich völlig auf den Kopf gestellt.
domradio.de: In einer Reaktion kurz nach der Rücktrittsankündigung haben Sie von einer Entmystifizierung des Papstamtes gesprochen. Tut ein solcher Rücktritt, wie ihn Benedikt XVI. vollzogen hat, dem Petrusamt vielleicht sogar gut?
Kardinal Woelki: Was ich damit meinte war, dass viele Menschen natürlich immer in einer großen Distanz zum Petrusdienst gestanden haben. Und für viele war der Petrusdienst in weite Ferne gerückt. Als dann der Papst so zurücktrat und deutlich machte: Aufgrund meiner gesundheitlichen Situation, aufgrund meines Alters komme ich von meinem Gewissen zu der Überzeugung, dass ich verantwortlich den Dienst in der Universalkirche so nicht mehr erfüllen kann. Dann finde ich, dass ist tatsächlich eine neue Dimension bzw. eine Dimension, die das Kirchenrecht zwar vorsieht, die aber über viele Jahrhunderte hinweg ja nie praktiziert wurde. Es zeigt jedenfalls den Menschen hinter diesem Amt. Das hat mich berührt, mit welcher Größe und Demut und Verantwortung der Papst diese Entscheidung getroffen hat.
domradio.de: Der Papstrücktritt bedeutete nicht nur, dass Ihr Handy pausenlos klingelte, sondern auch dass Sie im Prinzip alle Termine Anfang März vergessen konnten, denn Sie mussten nach Rom fahren. Zu diesem Zeitpunkt waren Sie ein Jahr Kardinal – wie aufgeregt fährt man da nach Rom?
Kardinal Woelki: Das war in der Tat eine Aufregung, ich wusste ja überhaupt nicht, was auf mich zukam. Und zusätzlich war zu bedenken, dass auch viele, viele neue Kardinäle ernannt worden waren, die hatten alle noch nie ein Konklave mitgemacht, das betraf ungefähr die Hälfte der Kardinäle, die da völlig unbeleckt in dieses Geschehen hineingegangen sind. Also insofern war die Aufregung groß und man musste sich erst einmal sehr vorsichtig in das ganze Geschehen hineintasten, hineinhören. Es gab natürlich viel Gespräche mit erfahrenen, älteren Mitbrüdern, wie das alles vor sich geht, worauf man zu achten habe. Das waren bewegende Tage!
domradio.de: Sie haben im Konklave Stillschweigen geschworen, Sie dürfen nichts über die Wahl sagen. Aber vielleicht können Sie uns etwas über das Gefühl sagen, dass einen ereilt, wenn man an diesen Dienstag den 12. März die Allerheiligen-Litanei singend zum Konklave in die Sixtinische Kapelle einzieht?
Kardinal Woelki: Wenn ich daran denke, läuft mir immer noch ein kalter Schauer über den Rücken. Wir hatten uns zuvor in einer Kapelle im Vatikan versammelt, jeder hatte dort einen bestimmten Platz zugewiesen bekommen entsprechend seinem Ernennungsalter. Wir haben dort einen Wort-Gottesdienst gefeiert und zogen dann in einer langen Reihe von der Capella Paolina in die Capella Sixtina. Man kennt die Sixtina natürlich von Aufenthalten in Rom, wenn man als Tourist die Vatikanischen Museen besucht hatte. Und jetzt ist man auf einmal in der Kapelle nicht mehr wie in einem Museum, sondern als Gottesdienstraum und eben in dem Raum, in dem das für unsere Kirche doch auch Entscheidende geschieht, nämlich die Wahl des Papstes. Und die Litanei ist mir noch nie so nahegegangen wie in diesem Augenblick, als wir in die Kirche einzogen.
domradio.de: Es hat dann fünf Wahlgänge gedauert, bis Papst Franziskus gewählt war. Wie muss man sich das vorstellen? Brandet dann spontan Applaus unter den Kardinälen auf, wenn die Mehrheit erreicht ist? Und ändert sich auch sofort etwas im Umgang, immerhin ist der Neugewählte sofort mit allen Rechten und Pflichten Papst.
Kardinal Woelki: Natürlich war irgendwie eine Spannung zu spüren auf der einen Seite, als dann immer häufiger der Name des Papstes genannt wurde: Bergoglio, Bergoglio! Noch eine Stimme und noch eine Stimme – das bewirkte einerseits eine Spannung und dann natürlich gleichzeitig auch eine Lösung, als man merkte, es fehlen nur noch ein, zwei, drei Stimmen, und als die dann erreicht waren, brandete ohne weiteres Stimmenauszählen der Applaus auf. Es war wirklich ein großer Jubel! Der Papst ist erst einmal ganz still sitzen geblieben. Ich hatte fast den Eindruck, dass er es gar nicht richtig glauben und wahrhaben wollte. Aber dann trat er in die Mitte und winkte allen zu, hat sich verbeugt und eine kurze Ansprache gehalten, für das Vertrauen gedankt, und wir sollten natürlich für ihn beten. Es war dann eine sehr gelöste Atmosphäre, als die Wahl erfolgt war, und alle warteten dann, bis der Papst sich umgezogen hatte und wieder zurück in die Sixtina kam, um dann jeden einzelnen Kardinal zu umarmen und die Glückwünsche entgegenzunehmen.
domradio.de: Das waren vier spannende Wochen zwischen dem angekündigten Rücktritt und dem 13. März, als Jorge Mario Bergoglio zu Papst Franziskus wurde. Was war in diesen Wochen für Sie das Beeindruckendste?
Kardinal Woelki: Die geistliche Atmosphäre, die Atmosphäre des Gebetes, die während des Konklaves und auch des Vor-Konklaves herrschte, und das wirklich brüderliche Miteinander unter den Kardinälen, die sich ja zu einem großen Teil gar nicht kannten, für die es das erste Mal war, und den anderen, die sich seit Jahren wieder in dieser großen Gruppe zusammengefunden haben. Das hat mich am meisten bewegt.
Das Interview führte Matthias Friebe.