Grünen-Kommission diskutiert über Staat-Religion-Verhältnis

"Eine echte Herzensangelegenheit"

Eine neue Kommission will sich bei den Grünen verstärkt mit dem Verhältnis zwischen Staat und Religionsgemeinschaften befassen. Bettina Jarasch, Mitglied im grünen Bundesvorstand und im Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK), im Interview.

Bettina Jarasch, Bündnis 90/ Die Grünen (dpa)
Bettina Jarasch, Bündnis 90/ Die Grünen / ( dpa )

KNA: Frau Jarasch, was ist das Ziel der neuen Kommission?

Jarasch: Unsere Gesellschaft hat sich in den vergangenen Jahren stark verändert. Es gibt viel mehr religiöse und weltanschauliche Gruppen. Zugleich nimmt die Zahl der Menschen ab, die in Deutschland einer der beiden großen Kirchen angehören. Es ist an der Zeit, eine Debatte über die Folgen dieser Entwicklung zu führen. Von den anderen Parteien ist da wenig zu erwarten. Die Kommission will sich damit beschäftigen, welche Funktion Religionen und Weltanschauungsgemeinschaften in einer pluralistischen Demokratie haben und welcher rechtliche und finanzielle Rahmen notwendig ist.

KNA: Gerade die Grünen sind auch für ihre sehr kirchenkritischen Töne bekannt...

Jarasch: Es gibt ein urgrünes Anliegen, das sowohl die Religiösen als auch die Laizisten in unserer Partei eint: Das ist das Aufbrechen verkrusteter Strukturen. Darauf wollen wir auch bei der Diskussion über das Verhältnis zwischen Religion und Staat unser Augenmerk richten. Die Grünen haben da auf beiden Seiten sehr viele Überzeugungstäter: Es gibt sehr viele religiöse Grüne, aber auch sehr viele Laizisten. Von daher ist das Thema für uns eine echte Herzensangelegenheit.

KNA: Sie leiten die Kommission als Mitglied im Bundesvorstand zusammen mit der Parteivorsitzenden Simone Peter. Wer ist noch in der Kommission vertreten?

Jarasch: Es gibt dort insgesamt rund 23 Vertreter, dazu gehören auch der religionspolitische Sprecher der Grünen, Volker Beck, und die Vorsitzende der Bundestagsfraktion, Katrin Göring-Eckardt. Wir haben uns bemüht, das gesamte Spektrum an Positionen in unserer Partei miteinzubeziehen, was gar nicht so einfach war: Aber es sind jetzt sowohl praktizierende wie nicht praktizierende christliche, muslimische und jüdische Grüne als auch Vertreter des religionskritischen Arbeitskreises Säkulare Grüne dabei.

KNA: Mit welchen Themen wird sich die Kommission beschäftigen?

Jarasch: Darauf werden wir uns in den ersten Sitzungen einigen. Grundlage für unsere Arbeit sollte sein, dass wir uns auf die Rolle der Religionen in unserer Gesellschaft verständigen können. Davon ausgehend werden wir uns sicher mit Statusfragen beschäftigen, mit der Rolle von Religionen in öffentlichen Institutionen wie der Schule und mit der Frage, wo die Grenzen zu ziehen sind, wenn kollektive und individuelle Religionsfreiheit miteinander oder mit anderen Grundrechten in Konflikt geraten.

KNA: Wird das kirchliche Arbeitsrecht Thema sein?

Jarasch: Mit Sicherheit. Wir sind eine Antidiskriminierungspartei und vor dem Hintergrund können viele Grüne Sonderregelungen, die für die Kirchen gelten, nicht nachvollziehen. Für die Kirchen dagegen ist dieses Thema eng mit ihrem Selbstbestimmungsrecht verknüpft. Wahrscheinlich diskutieren wir auch über finanzielle Fragen wie die Ablösung der Staatsleistungen. Das ist allerdings ein Thema, bei dem sich die Kirchen inzwischen selbst aufgeschlossen zeigen.

KNA: Was soll am Ende der Debatte stehen?

Jarasch: Die Debatte wird bestimmt nicht ganz einfach. Schließlich geht es um Identitäts- und Überzeugungsfragen. Ich sehe uns aber in der Pflicht, dass wir am Ende etwas langfristig Tragfähiges vorlegen. Zugleich bin ich auch stolz darauf, dass wir uns als Partei an das Thema wagen. Geplant ist, dass wir im Herbst kommenden Jahres einen Abschlussbericht vorlegen. Die Ergebnisse könnten dann etwa in das nächste Parteiprogramm einfließen. In die Debatte sollen auch die Religionsgemeinschaften miteinbezogen werden, sobald wir uns in der Kommission über grüne Grundlinien verständigt haben. Mir ist wichtig, dass in der Diskussion auch die besonderen Chancen neu in den Blick kommen, die unser spezifisches Religionsverfassungsrecht bietet: Ich persönlich bin etwa eine große Befürworterin des Religionsunterrichts und glaube, dass er die Chance bietet, Schüler fit für ein tolerantes Zusammenleben zu machen. Aber natürlich wird es auch Vorschläge geben, die die Besitzstände der Kirchen in Frage stellen.


Quelle:
KNA