Die Terrorgruppe Boko Haram macht Jagd auf Christen in Nigeria

"Soziale Ungerechtigkeit führt in Nigeria zu Gewalt"

Die Terrorgruppe Boko Haram kämpft für einen islamistischen Staat. In einem christlichen Dorf sollen über 100 Menschen getötet worden sein. Berthold Pelster, Menschenrechtsexperte bei "Kirche in Not", im domradio.de-Interview über die Hintergründe.

Zerstörung nach einem Anschlag von Boko Haram (dpa)
Zerstörung nach einem Anschlag von Boko Haram / ( dpa )

domradio.de: Die Mitglieder der Terrorgruppe Boko Haram bezeichnen sich selbst als nigerianische Taliban. Was genau steckt denn hinter denen?

Pelster: Es ist eher der Begriff, den die Bevölkerung in Nigeria für diese Terrorbewegung verwendet. Sie selbst tragen den Namen "Verband der Sunniten für den Aufruf zum Islam und zum Dschihad". Und wenn man diesen Begriff richtig interpretiert, dann verstehen sie sich selbst wahrscheinlich als Missionsbewegung, die eben den Islam verbreiten möchte, zum einen mit friedlichen Mitteln, das ist eben dieser "Aufruf zum Islam" und da, wo es nötig ist, aber eben auch mit militärischem Kampf. Und das ist dann der Dschihad.

domradio.de: Das heißt, es geht darum, in ganz Nigeria die islamische Rechtsprechung der Scharia durchzusetzen. Wie  viele Anhänger haben sie denn?

Pelster: Das sind sicherlich einige tausend, das ist aber auch alles sehr undurchsichtig. Das ist nicht wirklich keine organisierte Bewegung. Es gibt da sicherlich ein religiös-politisches Führungsgremium, aber da sind auch sicherlich viele Fanatiker unterwegs, die mehr oder weniger in eigener Regie auch Anschläge verüben. Also, es ist alles ziemlich undurchschaubar.

domradio.de: Aber diese Gruppe hat es erstaunlich leicht, junge Fanatiker zu rekrutieren. Warum ist das so?

Pelster: Das große, eigentliche Problem dahinter ist die soziale Ungerechtigkeit in Nigeria. Auf der einen Seite gibt es eben reiche Erdölvorkommen, davon profitiert eine kleine, sehr, sehr reiche Elite, die in großem Luxus lebt. Aber die breite Masse der Bevölkerung bekommt nichts mit von diesem Ölreichtum, von diesen Erträgen aus diesem Geschäft. Vor allem im Norden Nigerias, wo überwiegend Muslime leben, leben die Menschen in bitterer Armut. Gerade die jungen Menschen haben oft nur eine schlechte Ausbildung, haben keine Arbeit und haben vor allem auch keine Perspektive für die Zukunft. Und wenn dann eine Bewegung daherkommt, die sagt, wir müssen eigentlich nur zum Islam zurückkehren, wenn alle treu nach dem Koran leben würden und wenn alle die islamischen Gesetze beachten würden, dann wären alle sozialen und politischen Probleme gelöst. Wenn eine solche Bewegung kommt, dann schließen sich dieser Bewegung leicht auch junge, arbeitslose Männer an.

domradio.de: Aktuell geht es da ja um einen Angriff auf die Stadt Bama. Was genau ist denn da passiert in dieser Woche?

Pelster: Ja, da sind vor allem auch Einrichtungen des Staates angegriffen worden von diesen militärischen Kämpfern. Das Regierungsgebäude der lokalen Regierung ist angegriffen worden, zahlreiche Schulen sind angegriffen worden, der Palast des Königs von Bama, also eines lokalen Oberhauptes, soll angegriffen worden sein. Aber es sind auch viele, viele Wohnhäuser von Privatleuten in Brand gesteckt worden, mehr als 1.500 Häuser, sagen Augenzeugen. Das zeigt ein bisschen, dass sich eben die Bewegung auch gegen den Staat richtet. Obwohl Nigeria reiche Erdölvorkommen hat, herrscht eine große soziale Ungerechtigkeit und Ungleichheit. Und der Staat ist offensichtlich nicht in der Lage, hier die sozialen Probleme zu lösen. Letztendlich steht Staatsversagen dahinter.

domradio.de: Und natürlich richten sich diese Angriffe auch ganz extrem gegen Christen.

Pelster: Der Name Boko Haram, der dieser Bewegung auch wohl von Anderen zugeordnet worden ist, der sagt ja, westliche Bildung ist Sünde. Damit ist eigentlich noch mehr gemeint als nur westliche Bildung, sondern die westliche Kultur insgesamt. Die westliche Kultur ist natürlich stark christlich geprägt. Boko Haram geht davon aus, dass das Versagen der Regierung in Nigeria damit zu tun hat, dass sie zu sehr von westlichen Ideen geprägt ist, von demokratischen Prinzipien, vielleicht von der Marktwirtschaft usw. Und diese westlichen Einflüsse müssen ausgeschaltet werden, um wieder zum wahren Islam zurückzukehren und damit muss natürlich auch die christliche Religion ausgeschaltet werden und deswegen auch immer wieder gezielte Angriffe auf christliche Siedlungen und Kirchen und christliche Einrichtungen.

domradio.de: Was genau kann "Kirche in Not" da ausrichten?

Pelster: Wir können natürlich wenig tun, um diese Gewalt zu unterbinden. Da steht ganz klar die Regierung Nigerias in der Verantwortung. Die Regierung muss mit ihren Mitteln, mit Militär und Polizei gegen diese Gewalt vorgehen. Wir können natürlich den Christen beistehen, wir können vor allen Dingen helfen, zerstörte Kirchen wieder aufzubauen. Ganz wichtig ist aber immer auch der Kontakt zu diesen Menschen, dass sie sich nicht alleingelassen fühlen, sondern dass sie wissen, da im Westen, in Deutschland gibt es Menschen, die denken an uns, die beten für uns und die spenden vielleicht auch mal Geld, um eben Kirchen wieder aufzubauen. Oder eben Hinterbliebene zu versorgen, wo der Vater ermordet worden ist und wo die Mutter jetzt allein mit ihren vielen Kindern steht.

Das Gespräch führte Verena Tröster.


Quelle:
DR