Erzbischof Zollitsch zum Ökumenischen Sozialwort

Wegweiser für ökologische Marktwirtschaft

Mit einem gemeinsamen Sozialwort wollen Katholiken und Protestanten eine Diskussion über Gerechtigkeit entfachen. Im domradio-Interview fordert Erzbischof Zollitsch eine ökologische statt einer sozialen Marktwirtschaft.

Erzbischof Zollitsch (dpa)
Erzbischof Zollitsch / ( dpa )

domradio.de: Herr Erzbischof, der Leitbegriff, der bei dieser Initiative im Fokus steht, ist der Begriff der Gerechtigkeit. Das ist ein sehr weiter Begriff. Was leiten Sie denn daraus konkret ab?

Erzbischof Robert Zollitsch (Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz): Es ist uns ein Anliegen, dass wir wieder neu darüber nachdenken, wie wir heute unsere Gesellschaft gerechter gestalten können, auch sozial gerechter. Wie wir den Ausgleich zwischen arm und reich erreichen können, wie wir an die künftigen Generationen denken können, denn wir leben heute auf deren Kosten. Es geht also auch um die intergenerationelle Gerechtigkeit. Es geht darum, dass jeder das erhalten kann, was ihm zusteht, und dass das möglich wird. Und darum müssen wir tatsächlich anfangen, entsprechend umzudenken.

Wir denken da aber nicht nur an den Menschen, wir denken auch an die Schöpfung insgesamt: Wie gehen wir mit der Schöpfung um? Denn wir leben heute auch auf Kosten der künftigen Generationen und müssen schauen, wie wir die Schöpfung so erhalten, wie Gott sie uns in die Hände gegeben hat, wie wir denn leben sollen. Das ist wirklich eine weitgesteckte Frage nach Gerechtigkeit. Darum haben wir auch den Komparativ gewählt, die Frage nach einer gerechteren Gesellschaft. Und wir wollen uns, nachdem wir 1997 das gemeinsame Sozialwort veröffentlicht haben und nun ganz neue Fragen aufgetaucht sind ‑ denken Sie nur an die Finanzmarktkrise, an manche Schwierigkeiten in der Wirtschaft ‑, jetzt neu zu Wort melden, um die entsprechenden Perspektiven und Leitlinien anzusprechen, die wichtig sind für den Weg in die Zukunft.

domradio.de: Das letzte gemeinsame Wirtschaft- und Sozialwort der beiden Kirchen ist schon etwas her – 1997 wurde es veröffentlicht. Warum hat es so lange gedauert, bis sich die evangelische und die katholische Kirche wieder auf eine gemeinsame Position zur Wirtschafts- und Sozialordnung einigen konnten?

Erzbischof Zollitsch: Wir haben 2010 begonnen, über diese Frage nachzudenken und wir standen vor der großen Frage: Schreiben wir ein völlig neues Sozialwort? Davon sind wir abgekommen, weil wir uns sagten, Vieles aus dem damaligen Sozialwort wollen wir übernehmen und fortschreiben. Also sagten wir, wir gehen davon aus, dass wir im Anschluss an dieses Sozialwort Thesen veröffentlichen werden, was die heutige Situation ist. Und dass wir damit eine neue Diskussion in ihrer ganzen Breite anstoßen wollen, um dann bei einem Symposium im Juni in Berlin alles zusammenzuführen und dann neu zu schauen, was denn nun die notwendigen Konsequenzen sind, die wir möglich breit daraus ziehen müssen - sowohl die Politik als auch die Gesellschaft und die Sozialpartner und über die Kirchen bis hin zu den einzelnen Menschen, die ja das Ganze mittragen müssen.

Es geht hier wirklich um eine Mentalitätsveränderung in unserer Gesellschaft, damit wir gemeinsam eine gerechtere Zukunft haben.

domradio.de: Nun gibt es schon Kritik aus Reihen der EKD: Der Volkswirt Gustav Horn sagt, das Wort, das jetzt veröffentlicht wurde, also Ihre gemeinsame Position, sei zu wenig radikal und zu wirtschaftsfreundlich. Und das liege, so Horn, vor allen Dingen an den katholischen Bischöfen. Was sagen Sie dazu?

Erzbischof Zollitsch: Wir wissen um den Wert der Wirtschaft, denn wenn wir nichts erwirtschaften, können wir auch sozial nichts gestalten. Und wir wollen auch das Positive der Wirtschaft sehen, das hat auch die EKD in ihren Papieren schon getan. Wir haben allerdings auch die Thesen so formuliert, dass es eine breite Diskussion geben wird und auch noch andere Positionen angenommen werden können. Aber wir brauchen eine ökologische Marktwirtschaft, die Fortführung der sozialen als ökologische Marktwirtschaft.

In der gesamten Sozialpartnerschaft steckt einiges an Dynamik, ich möchte sogar sagen: an Dynamit und Sprengstoff, was vielleicht manch einer beim ersten Lesen gar nicht so entdeckt! Denn da geht es wirklich um eine Herausforderung, ja auch ein Stück Neugestaltung unserer Gesellschaft.

domradio.de: Es gab auch schon eine Reaktion von der Politikerin Sarah Wagenknecht von der Partei Die Linke, die das ganze schon als sehr positiv gelobt hat. Das ist ein Lob aus unerwarteter Ecke. Was wünschen Sie sich denn von den Regierungspolitkern, vor allem von den beiden christlichen Parteien? Haben Sie da schon Reaktionen bekommen?

Zollitsch: Nein, bis jetzt noch nicht, aber wir haben das Papier und die Thesen durchaus so verfasst, dass die Regierung der Großen Koalition dann bei ihren Entscheidungen möglichst viel davon berücksichtigt, denn es geht uns tatsächlich darum, jedem Menschen möglichst gerecht zu werden. Es geht uns darum, dass keiner Not leidet oder in ihr untergeht oder aus dem sozialen Netz herausfällt. Es geht uns aber zugleich auch darum, die wirklich notwendigen wirtschaftlichen Voraussetzungen zu schaffen, um das leisten zu können. Alles muss zusammen gesehen werden, und ich hoffe, dass wir mit diesen Thesen tatsächlich auch wirklich viele Anregungen für die Regierungsarbeit werden geben können. Und wir hoffen, dass möglichst viel davon umgesetzt werden kann.

Das Interview führte Ina Rottscheidt


Quelle:
DR