Andreas Kruse erforscht im DBK-Auftrag den Missbrauch

"Damit sich die Opfer verstanden fühlen"

Dreieinhalb Jahre werden sieben Professoren im Auftrag der Bischofskonferenz den sexuellen Missbrauch von Kindern und Jugendlichen wissenschaftlich untersuchen. Einer von ihnen ist der Heidelberger Gerontologe Andreas Kruse. Ein domradio.de-Interview.

Andreas Kruse / © Universität Heidelberg
Andreas Kruse / © Universität Heidelberg

domradio.de: Sind Sie bereit für diese große Aufgabe?

Kruse: Ja, weil wir uns in unserer Forschung sehr intensiv mit der Lebenssituation von Menschen auseinandergesetzt haben, die in ihrer Biographie traumatisiert waren. Und in der Forschung eben auch sehr gute Konzepte, sehr gute Strategien entwickelt haben, um mit diesen Menschen das Gespräch zu führen, übrigens auch das unterstützende Gespräch.

domradio.de: So ein schwieriges Thema wie sexueller Missbrauch, bei dem es um menschliche Schicksale geht, darf nicht einfach nur mit der wissenschaftlichen Brille betrachtet werden. Wie gehen Sie damit um?

Kruse: Die Tatsache, dass mich das sehr berührt, was mit den Menschen passiert ist, ist da eben sehr bedeutsam. Ich habe den Eindruck, wir können mit unseren Methoden auch wirklich aufklären, wir können mit unseren Methoden wirklich unterstützen. Deshalb denke ich, ist unser Forschungskonsortium auch in besonderere Weise geeignet, so eine Studie durchzuführen.

domradio.de: Was ist Ihre besondere Aufgabe als Altersforscher bei diesem Projekt?

Kruse: Meine Aufgabe ist, die biographischen Interviews mit den Opfern bzw. mit den Tätern zu führen. Wir haben eine große Erfahrung mit diesen Interviews, deshalb verantworten wir diesen Schwerpunkt. Außerdem muss man sehen, dass die Missbrauchsopfer vielfach im mittleren Erwachsenenalter stehen, die Täter aber im hohen oder sehr hohen Alter sind. Da spielt der Aspekt der Alternsforschung eine Rolle, weil wir wissen, wie bedeutsam es ist, dass wir die Lebenssituation eines Menschen im Kontext seines Lebenslaufes betrachten. Wir betrachten also die aktuelle Situation eines Menschen immer vor dem Hintergrund, was er im Laufe seines Lebens erlebt hat und wie er damit umgeht.

domradio.de: Die Zusammenarbeit zwischen der Deutschen Bischofskonferenz und dem Kriminologen Christian Pfeiffer ist gescheitert. Was macht Sie optimistisch, dass es diesmal gelingen wird, zu einem Abschluss zu kommen?

Kruse: Wir haben in den Vorgesprächen mit den Vertretern der katholischen Kirche immer wieder erfahren, dass auf deren Seite eine große Offenheit ist. Wir haben erfahren, dass unser streng wissenschaftlich definiertes Programm auf eine große Zustimmung stößt und dass wir auch die Freiheit haben, unser Programm zu verwirklichen. Deshalb sind wir wirklich sehr optimistisch, hier zu einem - auch für die Opfer - guten Ergebnis zu kommen.

domradio.de: Wo wollen Sie in dreieinhalb Jahren stehen?

Kruse: Wir wollen alle Fälle des Missbrauchs aus der Perspektive der Opfer, aber auch aus der Perspektive der Täter differenziert, tiefgreifend darstellen. Und wir wollen auch darlegen, wie es zu solchen Übergriffen kommen konnte. Das zweite ist, dass wir in einer Art und Weise über die Lebenssituation der Opfer sprechen können, so dass sie sagen können: Wir sind wirklich verstanden worden. Sie sollen den Eindruck haben, dass das, was sie erlebt haben, auch in der Öffentlichkeit angekommen ist. Das dritte ist, dass wir die Präventionsstrategien der katholischen Kirche um unsere Erkenntnisse erweitern können. Und schließlich auch, dass wir auf Seiten der Täter so etwas anstoßen können wie ein Schulderleben, ein Reuegefühl, und auch darlegen können, wie eigentlich Täter mit dem umgegangen sind, was sie an Schuld auf sich geladen haben.

Das Gespräch führte Verena Tröster.


Quelle:
DR