Jesuiten-Flüchtlingsdienst: Abschiebehäftlinge gehören nicht ins Gefängnis

"Weil sie nichts verbrochen haben"

Eine Art Hausarrest statt Gefängnisalltag fordert der Jesuiten-Flüchtlingsdienst für Asylbewerber, die abgeschoben werden sollen. Heiko Habbe ist Jurist beim Flüchtlingsdienst und blickt auf den EuGH-Prozess zum Thema.

Normales Leben minus Freiheit (KNA)
Normales Leben minus Freiheit / ( KNA )

domradio.de: Dürfen Asylbewerber mit Strafgefangenen zusammengelegt werden, darum geht es kurz gesagt in dem laufenden Prozess, aber welche Anliegen werden genau beim Europäischen Gerichtshof verhandelt?

Heiko Habbe (Jurist beim Jesuiten-Flüchtlingsdienst): Es sind die Fälle von zwei Frauen und einem Mann verhandelt worden, die in den letzten Jahren in Deutschland in Abschiebungshaft waren. Ein junger Marokkaner war beispielsweise in der Justizvollzugsanstalt in München-Stadelheim inhaftiert und dort auf einer Etage, die nur für Abschiebungsgefangene vorgesehen war. Da er aber zwischendurch psychisch schwer erkrankt war, musste er auf die Krankenstation und wurde dort gemeinsam mit Strafgefangenen untergebracht.

Eine europäische Richtlinie besagt, dass Abschiebungsgefangene in speziellen Einrichtungen untergebracht werden soll - eben nicht gemeinsam mit verurteilten Straftätern, denn sie haben ja nichts verbrochen.

In diesem Fall war es aber so, dass er nicht nur in einem Gefängnis untergebracht war, sondern auch indirekten Kontakt zu Gefangenen hatte. Hier wird der Europäische Gerichtshof (EuGH) jetzt entscheiden müssen, ob das in Ordnung war.

domradio.de: Warum ist die Trennung von Asylbewerbern und Strafgefangenen so wichtig?

Habbe: Weil sie eben nichts verbrochen haben, deswegen soll ihnen auch der Kontakt zu Straftätern erspart werden. Die Bedingungen im Strafvollzug sind regelmäßig sehr viel schärfer, sie dürfen oft nicht ihre eigene Kleidung tragen, müssen Anstaltskleidung tragen, dürfen kein privates Handy besitzen. Es regiert immer die Sicherheit. Das ist bei Abschiebungsgefangenen letztlich nicht sachgerecht, denn sie sollen ja nur da sein an dem Tag, an dem sie abgeschoben werden sollen. Es geht also eigentlich um einen besseren Hausarrest, der aber jetzt unter Bedingungen erfolgt, die eben sehr nah am Gefängnisalltag.

domradio.de: Was passiert während des Verfahrens genau?

Habbe: Einerseits haben wir eine sehr spannende juristische Diskussion am Dienstag in Straßburg vor der großen Kammer erlebt. Die Richter haben mit großer Intensität nachgefragt und sich auch sehr sehr kritisch zu diesen Berührungspunkten mit dem Strafvollzug geäußert. Die Bundesregierung plädiert darauf, dass jedes Bundesland für sich selbst entscheiden kann, wie es die Leute unterbringt.

Zum anderen erleben wir - und das ist fast noch die viel spannendere Entwicklung -, dass parallel zu diesem Verfahren ein Bundesland nach dem anderen sich im Grunde dem europäischen Recht einordnet und sagt: "Gut, wir hören auf, die Leute ins Gefängnis zu stecken. Wir richten entweder eigene Abschiebungshafteinrichtungen ein." Das ist in Bayern inzwischen passiert. "Oder wir kooperieren mit anderen Bundesländern und schicken die Leute dann in eine spezielle Hafteinrichtung, wo bessere Bedingungen herrschen." Das macht zum Beispiel Sachsen so, sie schicken die Leute jetzt nach Berlin.

domradio.de: Wie wird Ihrer Meinung nach der Europäische Gerichtshof entscheiden?

Habbe: Das ist immer die 100 Dollar-Frage, die man nicht beantworten kann. Es wäre auch nicht seriös, die Prognose zu treffen. Was wir beobachten konnten, war eben sehr kritisches Nachfragen, war sehr große Sachkenntnis der Richter und wir sind natürlich vom Jesuitenflüchtlingsdienst, der die Fälle mit seinem Rechtshilfefonds unterstützt und den Anwälten, die die Fälle auch mitvertreten haben, dort hingefahren mit einer klaren Hoffnung und mit der sind wir auch nach Hause gekommen: Dass der EuGH doch ein deutliches Signal geben möge für eine menschenfreundlicheren Vollzug des Aufenthaltsrechts.

domradio.de: Ist die Inhaftierung denn generell angemessen von Abschiebungsgefangenen?

Habbe: Das ist in der Form nicht Gegenstand dieses Verfahrens. Ganz generell ist unsere Beobachtung als Jesuitenflüchtlingsdienst, wir leisten Seelsorge in mehreren Bundesländern, dass auf jeden Fall da, wo es eben diese speziellen Hafteinrichtungen gibt, dass dort eigentlich die Bedingungen menschlicher sind. Aber diese Hafteinrichtungen gibt es nur in einer Minderheit der Bundesländer. Percy McLean, der frühere Direktor des deutschen Instituts für Menschenrechte, hat einmal gesagt, Abschiebungshaft solle normales Leben minus Freiheit sein. Das muss auch das Leitbild werden für die Zukunft. Vor allen Dingen hoffen wir, dass die Inhaftierung gerade von Asylsuchenden, die in andere EU-Staaten überstellt werden sollen aufhören wird. Das sind mittlerweile bis zu 80 Prozent der Inhaftierten. Da erschließt sich eigentlich nicht, warum jemand, der hier Schutz suchen will, der auch ein Anliegen an die deutschen Behörden hat, warum der wochenlang inhaftiert wird.

Das Interview führte Christian Schlegel


Quelle:
DR