Brasiliens Ureinwohner spielen bei der WM nicht mit

"Indigene werden nicht berücksichtigt"

In wenigen Wochen beginnt die Fußball-WM in Brasilien. Im domradio.de-Interview spricht Valeska Ebeling von der Menschenrechtsorganisation Survival International über die Schwierigkeiten der indigenen Bevölkerung des Landes.

Indigene in Brasilien / © Survival International
Indigene in Brasilien / © Survival International

domradio.de: Die Spiele finden in den großen Metropolen des Landes statt, die machen aber nur einen kleinen Teil der Lebenswelt Brasiliens aus. Wie lebt denn der Rest des Landes abseits von São Paulo und Rio de Janeiro?

Valeska Ebeling: In Brasilien ist natürlich auch die indigene Bevölkerung stark vertreten, das sind etwa 900.000 Menschen, von denen wenig die Sprache ist, besonders im Zusammenhang mit der WM. Die werden nicht berücksichtigt. Das kritisieren auch wir von Survival International, dass Brasilien sich als vielstimmige Demokratie präsentiert und sagt, es organisiere eine Weltmeisterschaft für alle. Aber in Wirklichkeit planen die Regierung und die Landbesitzer z.B. seit Monaten Gesetzesänderungen, die die Rechte indigener Völker dramatisch beschneiden würden. Und seit Jahrhunderten bereichern sich die Regierung und die Großgrundbesitzer auf Kosten dieser Bevölkerungsteile, die ja eigentlich die erste Bevölkerung des Landes war. Das ist einfach nicht in Ordnung! 

 

domradio.de: Sie haben Gesetzesänderungen angedeutet, die die brasilianische Regierung plant und die sich besonders auf die indigene Bevölkerung auswirken würden. Worum geht es da genau?
Ebeling: Es geht unter anderem darum, dass auch indigene Gebiete zur industriellen, also wirtschaftlichen Ausbeutung dienen können sollen. Dabei geht es um Bergbau, Staudämme, Straßenbau – alles was man sich vorstellen kann. Und das ist so dramatisch, weil die indigene Bevölkerung zum Überleben auf ihr Land angewiesen ist, d.h. wenn man ihnen das Land wegnimmt, dann nimmt man ihnen die Überlebensgrundlage und die Möglichkeit, sich selbst zu versorgen. Zum Beispiel im Regenwald: Der ist das Haus, die Kirche, der Supermarkt, die Apotheke für diese Menschen, das ist alles für sie. Wenn man ihnen das wegnimmt, dann haben die nichts mehr! Und dann sind die nur noch darauf angewiesen, was die Regierung ihnen gibt. Und das ist nicht ausreichend – das sieht man z.B. bei den Guarani im Bundesstaat Mato Grosso do Sul im Süden des Landes. Fast ihr gesamtes Land ist ihnen von Landbesitzern gestohlen worden. Jetzt leben sie entweder in überfüllten Reservaten, wo Krankheit und Mangelernährung Alltag sind, oder am Straßenrand neben den Gebieten, die ihnen eigentlich gehören, was auch gefährlich ist, weil ständig Lastwagen vorbeifahren. Und dort können sie sich auch nicht ernähren, weil sie einfach kein Land mehr haben, manchmal auch keinen Zugang zu frischem Wasser, oder sie müssen über die Felder laufen, die ihnen von den Landbesitzern genommen wurden. Da gibt es verschiedene Situationen, aber sie sind alle dramatisch!

domradio.de: Würden Sie also insgesamt sagen, dass die Ureinwohner es in Brasilien überall schwer haben?
Ebeling: Ja, überall herrschen schwierige Zustände. Diese WM ist natürlich sehr schön für Brasilien, für das internationale Image, aber die Wirklichkeit sieht anders aus: Die Sicherheitsmaßnahmen haben 791 Millionen US$ gekostet, was einem Vielfachen des Jahresbudgets der Indianerschutzbehörde entspricht. Die brasilianische Regierung sollte sich vielleicht eher darum kümmern, wie es ihrer eigenen Bevölkerung geht, anstatt große Sport-Events zu organisieren und das ganze Geld da hineinzustecken.

domradio.de: Da mag in der Kalkulation auch eine Rolle spielen, dass man von der Fußball-WM und all den Touristen, die sie ins Land spülen wird, Profite und Gewinne erwartet. Springt da nicht an irgendeiner Stelle auch etwas für die Ureinwohner heraus?
Ebeling: Das ist natürlich das Argument der Regierung, aber die indigene Bevölkerung steht immer an letzter Stelle, sie profitieren in keinster Weise von dem, was die Regierung organisiert. Auch wenn die Regierung Staudämme bauen lässt und behauptet, dass käme auch der Bevölkerung vor Ort zugute, dann ist das nicht der Fall! Sie werden vertrieben und sie profitieren nicht davon. Das ist nur ein vorgeschobenes Argument.


Quelle:
DR