Frank Schätzing über Israel und den Konflikt im Nahen Osten

"Grausam gegen sich selbst"

"Breaking News“ (Eilmeldung) heißt der Politthriller und Geschichtsroman von Frank Schätzing, der einen tiefen Blick in die israelische wie palästinensische Seele wirft. Im domradio.de-Interview vermittelt er seine Gedanken zum Nahost-Konflikt.

 

Frank Schätzing blickt auf Nahost / © Paul Schmitz
Frank Schätzing blickt auf Nahost / © Paul Schmitz

domradio.de: Herr Schätzing, wie blicken Sie heute auf Eilmeldungen aus dem Nahen Osten, nachdem Sie den Roman geschrieben haben?

Frank Schätzing: Das Schöne ist, dass ich wesentlich mehr verstehe als früher. Denn durch die Beschäftigung mit der israelischen Geschichte habe ich den Status Quo endlich mal verstanden, und so erschließt sich mir eine Eilmeldung ganz anders als früher. Berührt hat es mich das ganze Elend, das ganze Desaster schon immer. Was einen jetzt mehr berührt ist, dass man die Parteien, die da gegeneinander stehen, und ihre Motivation besser versteht. Ich weiß jetzt, wie wahnsinnig verzwickt und verstrickt das da unten ist. Und natürlich habe ich auch ein Gespür dafür bekommen, dass das so bald und so einfach nicht zu lösen ist.

domradio.de: Für Ihren Roman waren Sie auch drei Wochen in Israel und Palästina unterwegs. Was waren für Sie besondere Begegnungen?

Schätzing: Also allein der Umstand, dass man hinfährt und eine ganze Menge Menschen kennenlernt, wird klar, dass es geht nicht um einen Konflikt der großen Konzepte oder der Ideen geht, sondern immer nur um einen Konflikt von Menschen. Darauf reduziert sich alles. Nicht die Idee, nicht die Ideologie ist das Höchste,sondern der jeweilige Mensch, mit dem Sie reden. Das ist die Erkenntnis, die man daraus zieht. Das macht es nicht unbedingt einfacher, aber es zeigt, dass der ganze Kampf der Systeme und der Ideologien letzten Endes ein Hirngespinst ist, unter dem sehr viele zu leiden haben. Dann habe ich auch so lustige Geschichten erlebt. Zum Beispiel war ich an einem Tag bei einem Rabbi in einer jüdischen Siedlung im Westjordanland für einen ganzen Tag zum Essen mit seiner Familie eingeladen. Das waren äußerst reizende Leute. Und am nächsten Tag war ich bei einem palästinensischen Unternehmer aus Nablus im Westjordanland, also von der anderen Fraktion, wenn man so will, eingeladen. Und dort erlebte ich dasselbe Programm. Ich war auch bei seiner Familie einen ganzen Tag zum Essen eingeladen, und es waren auch reizende Leute. Man sieht, es gibt zwar ein paar Unversöhnlichkeiten auf beiden Seiten. Aber auf der anderen Seite geht man aus diesen Begegnungen heraus und denkt, die könnten sich doch wunderbar verstehen.

domradio.de: Sie stellen in Ihrem Roman auch die Aussage in den Raum, dass Israelis in Ihrem eigenen Land eigentlich in der Diaspora leben. Das klingt erst einmal provokant …

Schätzing: Ja, aber nur im ersten Moment. Das sage ich ja auch nicht als Autor, das sagen Israelis in dem Buch, und das haben mir Israelis selbst auch gesagt. Sie sind der Meinung, dass ist alles eine Frage der Betrachtungsweise. Für die religiösen Israelis gibt es natürlich nur das biblische Land Israel, insofern ist jeder, der woanders lebt, in der Diaspora. Aber für die säkularen Israelis, für die Religion keine Rolle spielt, die sagen, im Grunde genommen sind wir oder sind unsere Familie im 19. Jahrhundert oder im 20. Jahrhundert gewesen in Deutschland, in Polen, in Tunesien, in Russland zu Hause gewesen, und zwar über Generationen hinweg. Und dann mussten wir gehen. Wir mussten unser Zuhause verlassen und in ein Land gehen, in das wir freiwillig nicht gegangen wären. Insofern ist Israel für sie in dem Augenblick eher die Diaspora gewesen als umgekehrt.

domradio.de: Gegen Ende Ihres Romans lassen Sie einen israelischen Geheimdienstler sprechen "Wir sind grausam gegen uns selbst geworden, Shana, wir nehmen Schaden an unserer Seele“. Das ist ein großes Wort …

Schätzing: Wenn Sie in ein Land wie Israel gehen, werden Sie schnell sehen, dass dieses Land in der Anfangszeit seines Bestehens eine verschworene Gemeinschaft war, die engstens zusammenhalten musste, weil sie von außen bedroht wurde. Es war eine Gesellschaft, die darauf eingerichtet war, jeder dieser Bedrohung zu parieren. Aus diesem bedrängten Volk von Selbstverteidigern ist ein Volk geworden, dass viele, viele Menschen in anderen Gebieten besetzt hat. Und es ist eine Besatzung, sagen wir es, wie es ist. Und wenn Sie plötzlich Besatzer werden, dann ändert sich Ihr komplettes Verhalten, Ihr komplettes Selbstbild, dann sind Sie gezwungen, einen Geheimdienststaat und eine repressive Armee aufzubauen, die Aufstände unterdrückt, die grausam wird. Und je länger ein solcher Zustand anhält, je mehr man sich damit arrangiert, je grausamer man zwangsweise sein muss, um diese unnatürliche Situation aufrecht zu erhalten, desto grausamer wird man auch zu sich selbst. Man verroht, ob man will oder nicht. Jede Armee, die das tut, verroht.

Und das sagen Ihnen auch viele Israelis, wenn Sie da sind - wir sind grausam zu uns selbst geworden. Unsere eigene Gesellschaft muss wieder heilen. Eine Gesellschaft mit unterschiedlichen Interessengruppen, wo die einen sagen, lass uns da raus gehen, die anderen aber sagen, nein, das ist Gottes Land, wir müssen hier siedeln, dieses Land ist im Innersten gespalten. Und das kumuliert dann letzten Endes in einem Ereignis wie die Ermordung des israelischen Premierministers Yitzak Rabins, der von einem Landsmann erschossen worden ist. Eine solche Gesellschaft ist grausam zu sich selbst. Und meine feste Überzeugung ist, weil das auch für die palästinensische Gesellschaft gilt: die Gesellschaften im Nahen Osten müssen erst einmal in sich heilen, bevor sie miteinander Frieden finden können.  

Das Interview führte Birgitt Schippers.


Quelle:
DR