Cristina Scuccia hat nichts von der gespielten Coolness ihrer Konkurrenten. Sie beißt die Lippen zusammen, wippt mit den Füßen, auf ihrer Stirn rinnen Schweißperlen. Dann ist es endlich soweit: "Das Publikum hat entschieden, dass die Edition 2014 von 'The Voice of Italy' Schwester Cristina gewinnt", verkündet der Moderator der Talentshow am Freitag kurz nach Mitternacht mit feierlicher Stimme.
Im Finale setzte sich die stimmgewaltige Sängerin in schwarzer Ordenstracht inklusive Schleier nach mehr als drei Stunden und fünf Gesangseinlagen gegen drei Mitbewerber durch. Und auch diesmal rockte die Ordensfrau, deren erster Auftritt im März mittlerweile auf dem Videoportal Youtube mehr als 50 Millionen Mal aufgerufen wurde, dass der Schleier wippte. Zuletzt bot sie mit dem Hit "What a Feeling" eine Show, die selbst Whoopi Goldberg, das filmische Urbild der rockenden Nonne, fast alt aussehen ließ.
Zum Schluss ein Vaterunser
Ebenso spektakulär wie ihr Debüt vor drei Monaten, als Jury und Publikum kaum glauben konnten, dass sie eine leibhaftige Ordensfrau vor sich hatten, endete der Wettbewerb schließlich auch. Suor Cristina stimmte nach der Bekanntgabe ihres Sieges zur Verblüffung des Moderators auf der Bühne ein Vaterunser an und lud das Publikum ein mitzubeten.
Ob sie denn schon mal jemand hinten auf dem Roller mitgenommen habe, wie sie es eben besungen habe, wollte der Moderator von Scuccia wissen. Die Antwort: "Selbstverständlich, in meiner Vergangenheit." In dieser Vergangenheit vor ihrem Eintritt in den Ursulinen-Orden sang die Jugendliche in ihrer sizilianischen Heimat in einer Band auf Hochzeiten. Auch einen Freund hatte sie. Sängerin zu werden war ihr Mädchentraum.
Und so führte ihr Weg in einen katholischen Frauenorden denn auch über eine Schauspiel- und Gesangsschule. Scuccia absolvierte eine Musical-Ausbildung an der "Star Rose Academy", die der Ursulinen-Orden in Rom unterhält. Angeblich soll sie ihre geistliche Berufung verspürt haben, als sie in einem Musical die Ordensgründerin verkörperte. Ihr zweijähriges Noviziat verbrachte die Sizilianerin in Brasilien. Heute lebt "Suor Cristina" in einer Niederlassung der Ursulinen in Mailand und betreut Kinder.
Unkonventionelle Songs
Auch auf ihrem Weg ins Finale sang Scuccia meist von Dingen, die im Leben einer Ordensfrau keine Rolle spielen sollten. Nach ihrem Debüt mit "No One" von Alicia Keys überzeugte sie etwa mit "Girls Just Want to Have Fun" von Cyndi Lauper. Mit Kylie Minogue sang sie im Duett deren Hit "Can't Get You Out Of My Head". Mehr zu tun mit ihrem Alltag hatte zumindest dem Titel nach "Living on a Prayer" von Bon Jovi. Zuletzt setzte sie sich im Halbfinale mit "The Time of My Life" aus dem Film "Dirty Dancing" durch.
Ihr Auftritt in der Talentshow sei lediglich eine andere Form, um die christliche Botschaft zu verbreiten, erklärte die Ordensfrau bei ihrem ersten Auftritt. Sie wolle zeigen, dass "die Kirche überall und bei allen ist". Dafür gab es auch aus dem Vatikan ein dickes Lob. "Recht so! Mögen viele das tun", schrieb der Präsident des Päpstlichen Kulturrates, Kardinal Gianfranco Ravasi, via Twitter. Nur ihr Wunsch nach einem Segen von höchster Stelle blieb bislang unerfüllt: Der Papst griff noch nicht zum Telefonhörer. Dabei hatte sich Scuccia ausdrücklich auf Franziskus berufen. Der hatte den Ordensleuten schließlich vor einem halben Jahr zugerufen: "Weckt die Welt auf!"
Entdeckt durch Talent-Scouts
Beworben hatte sich die Sizilianerin für den Gesangswettbewerb nicht. Die Talent-Scouts von "The Voice of Italy" wurden auf sie aufmerksam durch ein Video von einem ihrer Auftritte beim "Good News Festival", das von der Italienischen Bischofskonferenz organisiert wird. "Mein Ziel ist es nicht, Erfolg zu haben", hatte Scucia noch einen Tag vor dem Finale verkündet. Doch den hat sie nun - und dazu noch das Angebot für einen Plattenvertrag. Auch Anfragen nach Konzerttourneen dürften nicht lange auf sich warten lassen. Aber Suor Cristina nimmt ihr Gehorsamsgelübde ernst: "Wenn meine Oberinnen Nein sagen sollten, dann werde ich glücklich sein, zu den Kindern in den Gebetssaal zurückkehren zu können".
Von Thomas Jansen