Für das Thema Sterbehilfe hat sich der Bundestag ein ganz eigenes Beratungsverfahren gewählt. Obwohl noch kein Gesetzentwurf vorliegt, trugen am Donnerstag rund fünfzig Abgeordnete in teilweise sehr persönlichen Einlassungen ihr Verständnis von einem würdevollen Umgang mit Leiden und Sterben vor. Bundestagspräsident Norbert Lammert betonte zum Auftakt, dass es sich "vielleicht um das anspruchsvollste Gesetzgebungsverfahren in dieser Legislaturperiode handelt". In der Debatte wurden immer wieder die Grenzen des Gesetzgebers angesichts der existenziellen Situation des Sterbens deutlich.
Gesetzgeber will Angebote von Vereinen regulieren
Einigkeit bestand darin, dass es vor allem darum gehen müsse, das Sterben des Einzelnen so weit wie möglich menschenwürdig zu gestalten, nämlich durch einen Ausbau der Palliativmedizin und der Hospize. In Deutschland ist die Tötung auf Verlangen verboten, der Suizid ist aber ebenso straffrei wie die Beihilfe dazu. Nachdem Einzelne, aber auch Vereine, dies für sich zu einem Angebot oder gar Geschäftsmodell ausgebaut haben, sucht der Gesetzgeber nach einer Regelung. Mehrmals - zuletzt 2012 - scheiterte er bislang an der schwierigen Materie.
Konsens herrscht inzwischen darüber, dass Geschäfte mit der Tötung in jedem Fall verboten werden sollen. Vier von fünf fraktionsübergreifenden Positionspapieren, die der Debatte zugrunde lagen, sprachen sich ferner dafür aus, alle organisierten Angebote, etwa durch Sterbehilfevereine oder einzelne Ärzte, zu untersagen.
Nur eine Gruppe um Renate Künast (Grüne) und Petra Sitte (Die Linke) will uneigennützig handelnde Vereine unter gewissen Bedingungen erlauben. Sie sehen vor allem im selbstbestimmten Sterben das zu schützende Rechtsgut; im Recht, "dass ich selbst mein Leben beenden darf", wie Künast sagte. Der Gesetzgeber müsse vor allem dafür sorgen, dass "keine Fremdbestimmung" vorliegt
Doch nicht nur Elisabeth Scharfenberg (Grüne) stellte infrage, ob wirklich von Selbststimmung gesprochen werden könne, wenn die Entscheidung durch Angst vor Schmerzen, Einsamkeit und Hilflosigkeit falle. Gerade in einer alternden Gesellschaft dürfe der Suizid nicht als scheinbar normaler Ausweg eröffnet werden.
Mahnende Beispiele aus Nachbarländern
Zahlreiche Abgeordnete fürchten, dass die Suizidbeihilfe zum Normalfall werden könnte. Claudia Lücking-Michel (CDU) warnte vor ökonomischem und psychosozialem Druck. Wenn sich die Suizidbeihilfe einmal etabliert hätte, müssten sich die Betroffenen zwangsläufig dazu verhalten. Und ihr Parteikollege Michael Brand mahnte, die Tür nicht mal einen Spalt weit zu öffnen. Auch in Belgien und den Niederlanden habe man mit engen Kriterien begonnen und inzwischen sogar die aktive Sterbehilfe für Kinder erlaubt.
In ihren Positionen liegen drei der eingebrachten Vorlagen nahe beieinander. Sie treten für eine fortgeltende Straflosigkeit des assistierten Suizids im Einzelfall ein. Die SPD-Abgeordneten Eva Högl und Kerstin Griese fordern aber von den Landesärztekammern, ihr Standesrecht für die Suizidhilfe zu öffnen. Diese sei zwar keine ärztliche Aufgabe, dem einzelnen Mediziner müsse aber eine Gewissensentscheidung möglich sein.
Der CDU-Abgeordnete Peter Hintze verlangte hingegen mit anderen Abgeordneten eine ausdrückliche Erlaubnis für Ärzte, unter genau genannten Bedingungen Beihilfe zu leisten. Er erhofft sich dadurch mehr Rechtssicherheit. Allerdings wies nicht nur der Unions-Fraktionsvorsitzende Volker Kauder (CDU) darauf hin, dass gerade die detaillierte Regelung den Arzt erst in ernste Konflikte mit dem Strafrecht bringen könne. Kauder plädierte für Zurückhaltung des Gesetzgebers, gerade um das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient nicht zu stören.
Gesundheitsminister verweist auf Patientenverfügung
Die Debatte diente nicht zuletzt der Aufklärung über bestehende Möglichkeiten der Sterbebegleitung. Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) verweist etwa auf das heute schon geltende Recht, lebensverlängernde Maßnahmen abzulehnen, oder die Möglichkeiten moderner Schmerztherapie. Selbsttötung und Beihilfehandlungen seien aus gutem Grund straffrei: "Das Recht schweigt zu den Lebensdramen." Er warnte davor, die Selbsttötung zu einem Akt wahrer Selbstbestimmung zu verklären.
Vertreter der beiden Kirchen, die Bundesärztekammer und Hilfsorganisationen würdigten die Bundestagsdebatte als wichtiges Signal. Sie forderten einen flächendeckenden Ausbau der Palliativmedizin und der Hospizarbeit. Zugleich warnten sie davor, die ärztliche Beihilfe zum Suizid zu einem normalen Angebot zu machen. Einhellig forderten sie ein Verbot jeglicher organisierten Form von Suizidbeihilfe, etwa durch Sterbehilfevereine oder durch einzelne Ärzte.
Bischof Bode lobt Bundestagsdebatte
Bischof Franz-Josef Bode lobte die Orientierungsdebatte im Bundestag. Das Wort Selbstbestimmung sei sehr wichtig, "aber manchmal kann es sich auch in Fremdbestimmung umwandeln", warnte er im domradio.de-Interview. Menschen fühlten sich vom Erwartungsdruck und von der Gesellschaft dazu geführt, ihrem Leben selbst ein Ende zu geben. Eine differenzierte Betrachtung sei nötig. "Deshalb finde ich es großartig, dass der Bundestag sich so breit damit befasst", sagte Bode am Donnerstag.
Ärzte-Präsident Frank Ulrich Montgomery begrüßte, dass der Bundestag sich für das schwierige ethische Thema so viel Zeit genommen habe. Es sei ein großer Konsens darüber sichtbar geworden, Sterbehilfevereinen das Handwerk zu legen. Ebenso unstrittig sei es, die Palliativmedizin und die Hospizarbeit in Deutschland weiter auszubauen. Zugleich wiederholte er, dass die Beihilfe zum Suizid keine ärztliche Aufgabe sei. "Das Berufsethos verpflichtet den Arzt, Hilfe zum Leben zu leisten, nicht Hilfe zum Sterben."
Der Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK), Alois Glück, sprach in Bonn von einem Höhepunkt parlamentarischer Debattenkultur und einem Vorbild für den gesellschaftlichen Diskurs. Der "Süddeutschen Zeitung" sagte er, wer gegen Suizidbeihilfe und aktive Sterbehilfe sei, müsse das Leid am Lebensende lindern und die Palliativmedizin ausbauen: "Sterbende Menschen haben ein Recht auf eine bestmögliche Lebensqualität."
Auch Caritas-Präsident Peter Neher plädierte für ein Verbot der organisierten Beihilfe zum Suizid. Die bestehende Gesetzeslücke müsse geschlossen werden, sagte Neher dem Berliner "Tagesspiegel". Eine Legalisierung der Beihilfe zur Selbsttötung durch Ärzte würde den grundsätzlichen Schutz des sterbenden Lebens gefährden. Zugleich betonte er, dass sich beim Thema Sterbehilfe nicht alles regeln lasse. "Wir werden mit Grauzonen leben müssen."