Bethlehem hat sich in Schale geschmissen. So viele Lichterketten wie selten schmücken die Geburtsstadt Jesu zu ihrem wichtigsten Fest. Weihnachtsklassiker und rockigere Töne wechseln sich ab auf der Bühne neben dem Weihnachtsbaum auf dem zentralen Krippenplatz. Zumindest für den äußeren Rahmen gilt: Mehr Weihnachten gab es nie. Doch das übliche Gedränge in den engen Gassen der Altstadt bleibt in diesem Jahr aus.
Deutlich weniger Besucher als in der Vergangenheit haben sich aufgemacht, um Weihnachten in Bethlehem zu feiern. Einzig beim traditionellen Einzug des Lateinischen Patriarchen von Jerusalem, Fouad Twal, wird es am Mittag etwas eng auf dem Krippenplatz, als Pfadfinder sich ein Handgemenge mit Sicherheitskräften liefern. Ansonsten ist mehr als genug Platz an der Krippe.
Vor allem die ausländischen Touristen sind weggeblieben, zum Leidwesen der einheimischen Händler, für die die Weihnachtstage zu den wichtigsten Einnahmequellen des Jahres gehören. "Am Ende sind immer wir die Verlierer", sagt Nabil Giacaman. Der Christ aus Bethlehem verkauft traditionelles Kunsthandwerk am Krippenplatz - wenn er Kunden hat.
"Wo sind die Christen?"
"Nicht mal zehn Prozent" der Einnahmen eines durchschnittlichen 24. Dezember hat er nach eigenen Worten bis zum Abend erzielt - nach einem ohnehin schwierigen Herbst. Seit dem Gazakrieg im Sommer, sagt Giacaman, seien die Besucherzahlen zurückgegangen. Heute Abend sind es vor allem Einheimische sowie Ausländer, die in Bethlehem leben und arbeiten.
"Wo sind die Christen?", fragt Pater Elias. Die Mehrheit der Feiernden, sagt der syrisch-orthodoxe Priester aus Jerusalem, seien Muslime, und überhaupt: "So leer wie heute war Bethlehem am Weihnachtsabend in all den Jahren nicht." Die Menschen haben Angst, glaubt Pater Elias. Die politische Großwetterlage - der Gazakrieg, der blutige Herbst in Jerusalem und Ausschreitungen am Checkpoint Bethlehem am Vortag - hat Spuren hinterlassen.
Bei denen, die trotzdem gekommen sind, ist von Angst keine Spur. Dikran aus Bulgarien und Salome aus Georgien zum Beispiel. "Die Menschen in Bethlehem sind nett und freundlich, die Stimmung ist super", sagt die Salome, die zum ersten Mal in der Geburtsstadt Jesu ist. Die Party auf dem Krippenplatz ist ganz nach ihrem Geschmack, "nur das Feuerwerk fehlt".
"Nicht gerade der Geist einer Pilgerreise", findet hingegen Franco Collodet. Zu Fuss aus Ancona ist der Italiener nach Bethlehem gepilgert, 138 Tage lang quer durch Europa und die Türkei. Erst als er an der syrischen Grenze auf die Miliz des "Islamischen Staats" stieß, wich er für das letzte Teilstück auf das Flugzeug aus. Da er "ohne konkrete Erwartungen" gekommen ist, stört ihn der ungewohnte Weihnachtstrubel letztlich aber wenig. "Es ist doch schön, so viele Menschen glücklich feiern zu sehen, vor allem in friedlicher Koexistenz."
Twal: Frieden und Eintracht
Koexistenz wird später in der Nacht auch eines der zentralen Stichworte der Weihnachtspredigt von Patriarch Fouad Twal sein. Gott habe Juden, Muslime und Christen im Heiligen Land zusammengebracht, damit sie gleichberechtigt in Harmonie und gegenseitigem Respekt zusammenlebten, predigt Twal in der Mitternachtsmesse in der Katharinenkirche. Twal rief Gläubige aller Religionen in Nahost zu Frieden und Eintracht auf. Nachdrücklich rief Twal zum Gebet für Frieden und Versöhnung im Nahen Osten auf. Besonders erinnerte er an die syrischen Flüchtlinge in Jordanien und dem Libanon.
Das Heilige Land sei zu einem Land des Konflikts geworden, der inzwischen auch religiöse Stätten getroffen habe, beklagte der Patriarch. Der Gazakrieg im vergangenen Sommer habe Hass und Misstrauen zwischen Israelis und Palästinensern vertieft und eine "Spirale der Gewalt und der Repressalien" gebracht. Israelis lebten weiter in Angst und Unsicherheit, während das palästinensische Volk noch immer nach Unabhängigkeit und Freiheit rufe.
Twal verlangte einen Wiederaufbau des Gazastreifens und bessere Lebensbedingungen für seine Bewohner. Die geplante israelische Sperranlage bei Beit Dschalla nahe Bethlehem müsse "im Namen der Gerechtigkeit und Moral" gestoppt werden.
Der Patriarch erinnerte daran, wie Papst Franziskus bei seinem Besuch im vergangenen Mai außerhalb des Programms einen spontanen Halt an der Sperrmauer in Bethlehem einlegte. "Die Welt könnte all die Reden des Papstes während seines Aufenthalts bei uns vergessen, aber nicht seinen kurzen Halt an dieser Mauer", sagte Twal.
Twal war am Mittwochnachmittag von Jerusalem ins sieben Kilometer entfernte Bethlehem gereist. Zu den traditionellen Feierlichkeiten am Geburtsort Jesu fanden sich deutlich weniger Gläubige ein als in den Vorjahren. Die Christmette zelebrierte der Patriarch dem Brauch entsprechend in der katholischen Katharinenkirche, die an die Geburtskirche angrenzt; diese Basilika, die auf einen Bau aus dem 6. Jahrhundert zurückgeht, steht unter griechisch-orthodoxer Verwaltung.
Wie nah sich das Land an diesem Strudel befindet, zeigten die Meldungen des Tages vom Gazastreifen. Bei Schusswechseln an der Grenze wurde ein israelischer Soldat schwer verletzt, ein Kommandant der Hamas getötet. Nur wenige Monate nach Ende des Gaza-Kriegs heizt sich die Lage damit wieder gefährlich auf und lässt bei den Menschen in Bethlehem die Befürchtung wachsen, dass die Besucher dem Heiligen Land noch über längere Zeit fernbleiben könnten.