KNA: Israels Staatspräsident Reuven Rivlin hat erstmals seit seinem Amtsantritt die Kirchenführer in seiner Residenz empfangen. Wie sind Ihre Erwartungen?
Twal: In Israel hat eher der Ministerpräsident Einfluss, nicht der Präsident. Es ist nicht an ihm zu entscheiden. Die politischen Entscheidungen fällen andere. Aber unser Gebet ist mit ihm, und wir hoffen, dass er einen positiven Einfluss haben wird.
KNA: Politisch werden im März die Karten neu gemischt.
Twal: Es stehen Wahlen an, ja. Aber wir wissen nicht, in welche Richtung es gehen wird. Wir befinden uns in einer Zeit des Übergangs, aber wir hoffen, dass das neue Jahr ein gutes im vollen Wortsinn wird. 2014 war ein katastrophales Jahr: so viele Anschläge, bis nach Jerusalem hinein, der Gaza-Krieg mit seinen Toten, die Flüchtlinge. In Jordanien, das auch zum Jerusalemer Patriarchat gehört, haben wir Tausende Flüchtlinge. Wir können nicht mehr, unsere Caritas kann nicht mehr - und die anderen Kirchen beteiligen sich kaum an der Hilfe.
KNA: Haben Sie in dieser schwierigen Lage Unterstützung erhalten?
Twal: Ich bin froh, eine weltweite Solidarität zu spüren uns gegenüber und Gaza gegenüber, auf verschiedene Art. Die einen helfen mit konkreten Gesten, mit Geld. Sie bauen die Häuser wieder auf, Schulen, Toiletten, Fenster. Aber: Vergessen wir nicht, dass die weltweite Aufmerksamkeit nicht mehr bei uns ist. Vielleicht kommt das mit den Wahlen wieder - aber die Aufmerksamkeit galt zuletzt eher dem "Islamischen Staat", der weder Staat noch islamisch ist und der unschuldige Menschenleben kostet. Alle haben Angst - auch ich habe Angst vor alledem. Wie der Heilige Vater gesagt hat: Es steht zu hoffen, dass die Welt aufhört, Waffen an diese Leute zu verkaufen und die Waffenzufuhr stoppt.
KNA: Im Januar kommen traditionell Bischöfe aus Europa, Nordamerika, Kanada und Südafrika zu einem Solidaritätsbesuch ins Heilige Land. Was erhoffen Sie von diesem Besuch?
Twal: Die Bischöfe haben in ihr Programm einen Besuch in Gaza aufgenommen, und sie haben sich entschieden, zu Fuß über den Checkpoint zu gehen, wie das normale Volk, um etwas vom Leiden und den Schwierigkeiten der Menschen zu sehen. Ich werde mein Möglichstes tun, sie nach Gaza zu begleiten. Wir hoffen, dass durch diese Besuche ihr Bewusstsein für das hiesige Drama wächst und dass sie zu unseren Anwälten werden. Wir hoffen, dass sie, wenn sie wieder zurück in ihren Ländern sind, von ihren Erfahrungen sprechen und damit Einfluss auf die Weltöffentlichkeit haben - jetzt, wo der Staat Palästina immer mehr anerkannt wird. Vielleicht ermutigt das, diesen Staat irgendwann vollständig anzuerkennen und den Dialog weiterzuführen. Denn diesen Staat anzuerkennen heißt nicht, den Dialog zu beenden. Im Gegenteil: Es bringt mehr Überzeugung und Vertrauen.
Das Interview führte Andrea Krogmann.