Medienjournalist zur Berichterstattung in Frankreich

"Eigener Programmdirektor werden"

Frankreich im Ausnahmezustand: Die Medien berichten rund um die Uhr über den Terroranschlag und die Geiselnahmen. Dieter Anschlag, Medienkorrespondenz-Chefredakteur, spricht bei domradio.de über die Folgen. 

Fernsehkameras (dpa)
Fernsehkameras / ( dpa )

domradio.de: Zum ersten Mal wird ein Terrorgeschehen live übertragen - ist das noch medien-ethisch vetretbar?

Medienjournalist Anschlag: Das ist medienethisch natürlich eine problematische Situation. Es ist aber nicht das erste Mal, dass so übertragen wurde. Das Attentat auf die israelische Mannschaft bei den olympischen Spielen 1972 in München hatte ähnliche Folgen: Die Attentäter sahen im Fernsehen, wie die Polizei vorgegangen ist.

Es ist ein gängiges Prinzip bei solchen weltpolitisch relevanten Ereignissen, dass natürlich auch die Medien im Ausnahmezustand sind und eine gewisse Pflicht zur Berichterstattung spüren, die allerdings - wie man hier auch sehen kann – teilweise überspannnt und überzogen wird. Aber man kann es nicht wirklich verhindern.

domradio.de: Selbst wenn man - wie wir hier in der Redaktion - das Geschehen verfolgt um wegen der Berichterstattung auf dem Laufendem zu bleiben, stellt sich irgendwann so ein unwirkliches Gefühl ein einem Thriller zu verfolgen - wird das der Sache noch gerecht? Gehört das noch zu einer seriösen Berichterstattung - oder könnte man das auch anders machen?

Anschlag: Wesentlich anders kann man es nicht machen – man berichtet ja über das, was real passiert.Und das liegt außerhalb des Einflusses. Insofern bleibt einem nicht viel anderes üblich. Was man in der heutigen Zeit der sozialen Medien und der großen programlichen Vielfalt nur machen kann, ist, sein eigener Programmdirektor zu werden und für sich persönlich zu entscheiden: Das will ich mir alles nicht anschauen. Ich muss das alles nicht bis ins Detail sehen, sondern ich warte ab, bis es am Abend in seriösen Medien – im Radio oder Fernsehen – eine Zusammenfassung gibt und dann schau ich mich mir das an.

Aber ansonsten sieht man auf allen Sendern, dass man journalistisch dabei sein will und muss. Selbst ein seriöser Sender wie BBC World überträgt rund um die Welt dieses Ereignis.

domradio.de: In der Tagesschau wurde von einem erneuten Anschlag Boko Harams mit über Hundert grausam zu Tode gekommenen Menschen berichtet. Warum regen wir uns darüber scheinbar weniger auf – warum gibt es da keine Liveticker zum Mitfiebern?

Anschlag: Die Aufregung darüber ist theoretisch genauso groß oder noch größer. Es ist in diesem Fall aber keine moralische Frage sondern es ist etwas, was die Nachrichtenwerttheorie so beschreibt: Das, was vor der eigenen Haustür passiert, ist immer interessanter für die Menschen als das was fernab geschieht. Das ist ein gängiges Muster der Medienwahrnehmung.

domradio.de: Wie haben Sie es selbst gehalten?

Anschlag: Ich konnte und wollte das Ganze nicht nonstop verfolgen. Aber ich habe natürlich schon versucht - auch weil ich Medienjournalist bin - die Sache in den entscheidenden Zügen mitzubekommen. Ich hatte auch ein schlechtes Gefühl dabei, es ist unvermeidbar. Vor allem die Erschiessung des Polizisten vor laufender Kamera – aber das ist auch ein Beispiel, dass man anders damit umgehen kann. Sender haben das verpixelt, während auf Facebook und Youtube dieses Video ungekürzt zu sehen ist. 

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Weder domradio.de noch das Erzbistum Köln machen sich Äußerungen der Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen zu eigen.

 


Quelle:
DR