CARE hilft Bevölkerung und Flüchtlingen im Tschad

"Hinschauen und über Grenzen hinausgehen"

Eine halbe Million Flüchtlinge leben im Tschad. Jetzt kommen viele aus dem Nachbarland Nigeria dazu, die vor der Terrorgruppe Boko Haram fliehen. Über die Situation im Tschad berichtet Sabine Wilke von CARE.

Geflohen vor Boko Haram (dpa)
Geflohen vor Boko Haram / ( dpa )

domradio.de: Sie arbeiten nicht nur im CARE-Büro in Bonn, sondern sind auch immer wieder unterwegs in den Ländern, in denen CARE im Einsatz ist. In diesen Tagen gucken wir mit großer Besorgnis auf den Tschad. Was genau passiert da im Augenblick?

Sabine Wilke (Pressesprecherin des Hilfswerks CARE): Der Tschad ist im Grunde der letzte stabile Anker in der Sahel-Region - umgeben von sehr vielen Ländern, die mehr oder weniger zerfallen oder von akuten Krisen und Terror bedroht sind. Aktuell gibt es seit ein paar Wochen im Tschad eine neue Flüchtlingsbewegung. Flüchtlinge aus Nigeria sind über den Tschad-See geflohen, wie sprechen von ungefähr 15.000 Flüchtlingen. Das ist aber nicht alles: Der Tschad hat ungefähr 11 Millionen Einwohner und davon sind eine halbe Million Menschen Flüchtlinge - aus Darfur, aus der Zentralafrikanischen Republik und aus anderen benachbarten Ländern. Das ist natürlich eine enorme Last für dieses Land. Der Tschad ist auf dem Entwicklungsindex der Vereinten Nationen das viertärmste Land und befindet sich in einer Region, in der es mehr oder weniger von Negativrekorden umgeben ist. Das Nachbarland Niger ist das ärmste Land der Welt.

domradio.de: Für Menschen ist es normalerweise schön, wenn sie das Gefühl haben, gebraucht zu werden in der Gesellschaft. In ihrem Fall könnte ich mir aber vorstellen - sie sind seit Jahrzehnten aktiv im Tschad - irgendwann wird es doch auch mal frustrierend, wenn immer wieder neue Wellen ausbrechen?

Sabine Wilke (CARE): Ja, das ist tatsächlich der Eindruck, den man bekommt, wenn man den mit Kollegen vor Ort arbeitet - vor allem mit einheimischen Helfern. Die sagen nämlich: Wir würden eigentlich gerne die Entwicklung hier voranbringen, das heißt, die Landwirtschaft verbessern, die chronische Nahrungskrise bekämpfen und eine Infrastruktur aufbauen, damit die Menschen sich selber versorgen können. Das Problem bei solchen Krisen und bei großen Flüchtlingsbewegungen ist immer, dass die lokale Bevölkerung, die ohnehin schon arm ist, dann zusätzlich leidet. Denn sie muss die ohnehin schon knappen Ressourcen noch teilen. Und wir befinden uns tatsächlich in einer Spirale, die derzeit mehr oder weniger aussichtslos ist. Vor allem ist die Hilfe chronisch unterfinanziert. Das, was an Hilfe im Tschad geleistet wird, ist im Moment nur zu 36 Prozent finanziert. Wir bekommen dankbarerweise Unterstützung vom Auswärtigen Amt und von einigen anderen Gebern. Aber für die allgemeine Öffentlichkeit ist der Tschad kaum ein Thema. Wir sehen schon wieder, dass die Ernten nicht gut gewesen ist, dass eine nächste Nahrungskrise droht in der gesamten Region. Das macht einem natürlich große Sorgen.

domradio.de: Wie wirkt sich das denn konkret aus in ihrem Arbeitsalltag, wenn der Geldstrom nicht so fließt, wie sie sich das wünschen oder wie es auch zugesagt war?

Sabine Wilke (CARE): Ich war vor ein paar Monaten im Süden des Tschad, in Goré. Das ist ein Dörfchen, wo sehr viele Flüchtlinge aus der Zentralafrikanischen Republik untergekommen sind - um die 14.000 Menschen in einem Lager. Wenn man mit denen spricht, dann sagen die: Wir bekommen Wasser, wir bekommen auch ein bisschen Bargeld, um uns über die Runden zu halten. Aber es reicht hinten und vorne nicht. Wir möchten eigentlich Nahrung haben und wir brauchen auch noch viele andere Dinge, um uns wieder selbst versorgen zu können. Und wenn man dann mit den Helfern von Care oder auch den Vereinten Nationen spricht, heißt es: Wir würden gerne mehr helfen, aber unsere Mittel sind so knapp, dass wir tatsächlich nur die Schwächsten - sprich, Alleinstehende Mütter, Schwangere, Kinder - versorgen können und es einfach nicht für alle reicht.

domradio.de: Haben Sie das aus nächster Nähe erlebt oder auch mit Menschen gesprochen, die Opfer so einer Selektion werden und dann keine Hilfe erhalten, weil sie nicht zur entsprechenden Zielgruppe gehören?

Sabine Wilke (CARE): Ja, und das ist natürlich immer das schwere an dem Job, dass man auf der einen Seite sieht, dass durchaus Hilfe geleistet wird. Aber dass man natürlich auch mit Fragen konfrontiert ist. Ich habe mit vielen Müttern gesprochen, die Kinder haben, die alleine geflohen sind, die Furchtbares erlebt haben, traumatisiert sind und die mir auch sagen: Sie können nachts nicht schlafen und sie wissen nicht, wie sie ihre Kinder durch den nächsten Tag bringen können. Das sind natürlich Eindrücke, die man nicht so leicht wegsteckt. Wenn ich dann lese, dass im Jahr 2015 für den Ausbau von Tunneln und Brücken in Deutschland eine Milliarde Euro investiert wird und wir gleichzeitig in der ganzen Sahel-Zone chronische Unterfinanzierung der Entwicklungshilfe haben, dann stellt sich da schon ein großes Fragezeichen.

domradio.de: Jetzt sind wir an Tag zwei der Fastenzeit. Viele gucken da sehr auf sich und schauen, was sie für sich Gutes tun können in den nächsten 40 Tagen. Es wird aber auch gerade in den Kirchen wieder viel Geld gesammelt um anderen zu helfen. Ist das auch Ihr Appell: Spenden, spenden, spenden? Oder wie kann man ihre Arbeit unterstützen?

Sabine Wilke (CARE): Ich kann verstehen, dass diese Aufrufe nicht immer gerne gehört werden. Aber natürlich haben wir von CARE, nachdem ich aus dem Tschad zurückgekommen bin, unsere Briefkasten-Mailings verschickt - mit Fotos, mit Eindrücken von mir, mit meiner Stimme, die sagt: Da hilft hier wirklich jeder Euro. Die direkte Hilfe im Tschad ist kein verschwendetes Geld - ganz im Gegenteil. Insofern ist der Appell an die Menschen tatsächlich: Spenden. Aber der Appell ist gleichzeitig auch: Hinschauen und immer wieder über seine eigenen Grenzen hinausgehen und sagen: Es gibt eben nicht nur Europa, es gibt eben nicht nur Deutschland, sondern, das ist unser Nachbar-Kontinent und da haben wir auch eine Verantwortung, Unterstützung zu leisten.


Quelle:
DR