domradio.de: Nach dem Bericht des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes sind vor allem Alleinerziehende und Rentner von Armut bedroht. Wo liegen da die Probleme?
Prof. Dr. Georg Cremer (Generalsekretär Deutscher Caritasverband): Der weiterhin wichtigste Grund für Armut ist der fehlende Zugang zu produktiver Beschäftigung. Bei Alleinerziehenden haben wir das Problem, dass sie aufgrund mangelnder Betreuungsmöglichkeiten nicht arbeiten oder nur in Teilzeit arbeiten und damit ein geringes Einkommen haben und in hohem Maße auf ergänzendes Hartz IV oder überhaupt Hartz IV angewiesen sind.
Wir haben aber ein zweites Problem: Viele Alleinerziehende sind gleichzeitig auch schlecht ausgebildet. Wir müssen also mehr und früher in die Ausbildung von jungen Menschen investieren. Da hapert es in Deutschland. Der Zusammenhang zwischen sozialer Herkunft und Ausbildungserfolg ist in Deutschland hoch. Hier kann man ansetzen.
domradio.de: Außerdem gibt es große regionale Unterschiede. So ist im Süden Deutschlands die Armut sehr niedrig, im Norden - vor allem in Bremen, Berlin und Mecklenburg-Vorpommern - sehr hoch. Wie kommt das?
Cremer: Das korrespondiert ganz eng mit der unterschiedlichen Beschäftigungssituation in diesen Regionen. Wir haben in Baden-Württemberg und Bayern Regionen, in denen es nahezu Vollbeschäftigung gibt oder zumindest geringe Arbeitslosenquoten. Und in anderen Ländern (z.B. Bremen, Berlin, Mecklenburg-Vorpommern, Anm.d.Red.) haben wir eine hohe Arbeitslosenquote.
Wir müssen dabei aber auch berücksichtigen: Der Werte für die Armusgrenze - 892 Euro - ist bundeseinheitlich. Aber mit 900 Euro in München zu leben ist sehr viel schwieriger, als mit 900 Euro in Schwerin zu leben. Demnach ist die Situation in Bayern nicht ganz so rosig, wie die Daten ausdrücken.
domradio.de: Was kann man sonst tun, um Armut zu bekämpfen? Was macht die Caritas?
Caritas: Wir haben leider einen Trend der wachsenden Einkommensungleichheit in allen westlichen Industrieländern. Das hat zu tun mit der Spaltung des Arbeitsmarktes in sehr gut bezahlte Segmente und einen Diensleistungssektor, der sehr schlecht bezahlt ist. Da geht es zum Beispiel um die Boten, die uns Pakete nach Hause bringen. Wir brauchen mehr Investition in Bildung und lebenslanges Lernen. Wir müssen uns aber auch darauf einstellen, dass wir Menschen in bestimmten Segmenten auch sozial unterstützen.
Der Caritasverband hat einen Vorschlag entwickelt, wie man Familien von Beschäftigten im Niedrigkeinkommensbereich mit einer einkommensabhängigen Kindergrundsicherung unterstützt, damit Familien nicht prekär leben müssen. Da gibt es bereits Ansätze in der Politik, die man aber ausbauen kann.
Das Interview führte Daniel Hauser.
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