Über die Folgen einer drohenden Kooperation von Boko Haram und dem "Islamischen Staat"

"Die Menschen sind tief traumatisiert"

Die nigerianische Terrorgruppe Boko Haram will sich mit der syrisch-irakischen Terrormiliz "Islamischer Staat" zusammenschließen. Über mögliche Folgen für die Christen in Nigeria spricht Thomas Müller vom christlichen Hilfswerk "Open Doors".

In Nigeria wütet die Terrorgruppe "Boko Haram" (dpa)
In Nigeria wütet die Terrorgruppe "Boko Haram" / ( dpa )

domradio.de: Boko Haram will expandieren, sich dem IS anschließen. Überrascht diese Meldung?

Müller: Nicht wirklich. Der Führer der Boko Haram hat dies in einem Video angekündigt, und er hat dies auch wieder sehr bedrohlich inszeniert. Wie damals, als vor knapp einem Jahr die vielen Mädchen entführt worden waren. Man hat Eindruck, er will vor allen Dingen Angst erzeugen. Boko Haram hatte ja im vergangenen Jahr auch ein Kalifat ausgerufen, deswegen ist es nicht ganz unlogisch, dass man sich nun dem anderen Kalifat anschließt, denn es kann ja nur ein "wahres" Kalifat geben. Ein Kalifat ist schließlich von Allah selbst eingesetzt. Es sieht so aus, als ob es nun eine ideologische Allianz und eine Bündelung der Kräfte geben soll. Es ist eher nicht zu erwarten, dass die beiden Terrorgruppen nun Kämpfer untereinander austauschen.

Man muss auch wissen, dass Boko Haram etwas in die Defensive geraten ist. Die Nachbarstaaten haben begonnen, in den Konflikt einzugreifen, und haben eine multinationale Streitkraft aufgestellt, die erste Erfolge verbuchen kann. Von daher kann man auch aus diesem Grund erklären, dass Boko Haram auf der Suche nach Verbündeten ist.

domradio.de: Was würde das für Christen bedeuten, wenn da Kräfte gebündelt werden?

Müller: Es würde zu einer noch höheren Unsicherheit kommen. Es kann durchaus sein, dass Kämpfer trainiert werden und dass Boko Haram dadurch gestärkt wird, dass es also mehr Kämpfe gibt. Unmittelbar würde sich wohl nicht allzu viel ändern. Die Situation ist ja auch so schon schlimm genug. Gerade erst wurde gemeldet, dass bereits im November 80 Kinder aus einer Boko-Haram-Koranschule in Kamerun gerettet werden konnten. Diese Kinder sind so traumatisiert und indoktriniert worden, dass sie ihre Namen vergessen haben, dass sie nicht wissen, woher sie kommen, und gar nicht mehr ihren Familien oder Dörfern zugeordnet werden können. Es ist eine wirklich eine dramatische Situation. Wie muss es dann den Mädchen gehen, die schon vor fast einem Jahr entführt wurden?

domradio.de: Hätte man darauf nicht längst reagieren müssen?

Müller: Die Frage ist, was überhaupt getan werden kann. Leider ist Nigeria für die Menschen in Europa sehr weit weg. Fast gleichzeitig mit den Pariser Anschlägen im Januar kamen in Nigeria bis zu 2000 Menschen durch Boko Haram ums Leben. Diese Meldungen gehen bei uns in Europa oft unter, Afrika ist gefühlt weit weg.

Auf jeden Fall muss in diesen Ländern die Zivilgesellschaft gestärkt werden, es muss gegen Korruption vorgegangen, und die Kräfte des Dialogs müssen gestärkt werden. In Karduna haben sich nun Führer der Christen und Muslime zusammengefunden, um ein Programm gegen die religiöse Gewalt zu entwickeln und durchzuführen. Am 28. März sollen ja auch Wahlen stattfinden. Wie das gehen soll, ist noch gar nicht absehbar.

domradio.de: Was können Christen tun?

Müller: Wichtig ist, dass man sich informiert. Und natürlich ist für uns Christen das Gebet sehr wichtig. Die Christen in Nigeria fühlen sich sehr alleine gelassen in dieser Situation. Es ist für sie Trost und Hilfe zu wissen, dass sie nicht alleine stehen. Wir bieten vor Ort auch Trauma-Seelsorge an. Die Menschen erleben Gewalt und Brutalität und sind zum Teil tief traumatisiert. Da wollen wir helfen. Auch indem wir den Kirchenvertretern zur Seite stehen, die immer wieder bedroht werden.

Das Interview führte Verena Tröster.


Quelle:
DR