Miami in Florida, die Bischofsstadt von Thomas Wenski, ist eine Art Hauptstadt der Exil-Kubaner.
Katholische Nachrichten-Agentur (KNA): Herr Erzbischof, die USA und Kuba stehen kurz davor, volle diplomatische Beziehungen aufzunehmen. Beide Seiten haben bereits Reiseerleichterungen und mehr Austausch angekündigt. Welche Rolle haben Sie bei der Vermittlung der Annäherung gespielt?
Thomas Wenski (Erzbischof von Miami): Ehrlich gesagt keine direkte. Weder der Vatikan noch die US-Regierung haben in diesem Fall meinen Rat eingeholt. Aber ich bin über 18 Jahre lang mit der Kirche in Kuba in engen Kontakt.
KNA: Aber es ist doch richtig, in Ihnen eine Art Wegbereiter zu sehen?
Wenski: Als damaliger Direktor der Catholic Charities in Miami war ich 1996 nach dem Hurrikan Lili dafür zuständig, erstmals humanitäre Hilfe aus den USA nach Kuba zu liefern. Das war damals noch sehr kontrovers. Viele der Exil-Kubaner hier dachten, die Lieferungen seien falsch und kämen sowieso nicht bei den Bedürftigen an. Wir haben eng mit der Caritas in Kuba zusammengearbeitet und konnten zwei Flugzeuge mit Lebensmitteln auf die Insel bringen. Das war ein Meilenstein.
KNA: Aber den Widerstand innerhalb der kubanischen Gemeinde von Miami gegen direkte Kontakte mit der Insel hat das zunächst nicht gebrochen?
Wenski: Stimmt. Im Januar 1997 hatte ich als Weihbischof versucht, eine Kreuzfahrt mit 1.000 Gläubigen zur Messe mit Papst Johannes Paul II. nach Havanna zu organisieren. Mein Vorgänger Erzbischof John Favalora gab den Plan im Dezember auf, weil der Druck zu groß war.
KNA: Mit Ihren Positionen zu Kuba hat es sich die Kirche in der Exilanten-Gemeinde generell nicht leicht gemacht. Warum setzen Sie sich für einen Dialog ein?
"Wir haben uns mit den Bischöfen auf Kuba solidarisiert"
Wenski: Havannas Kardinal Jaime Ortega pflegt darauf hinzuweisen, es sei wenig schlüssig, erst dann mit dem Regime zu sprechen, wenn es freie Wahlen und dieses oder jenes gebe. Solche Dinge müssten das Ergebnis der Verhandlungen sein, nicht die Vorbedingung. Wir als katholische Bischöfe der USA haben uns mit den Bischöfen auf Kuba solidarisiert, und wir fordern wie diese eine Aufhebung des Embargos.
KNA: Viele Exil-Kubaner sehen darin einen Rettungsring für das Regime. Was sagen Sie denen?
Wenski: Wir haben das Gefühl, dass das Embargo ein stumpfes Instrument ist. Es bestraft nicht die Schuldigen. Wir unterstützen dagegen ein aktives Engagement in der kubanischen Gesellschaft. Die Wiederherstellung der diplomatischen Beziehungen und der Beginn eines Dialogs sind aus Sicht der Kirche sehr positiv.
KNA: Wie nimmt die kubanische Exilanten-Gemeinde die jüngste Vermittlungsrolle der Kirche auf, die in der Erklärung der Staatspräsidenten Barack Obama und Raul Castro Mitte Dezember mündete?
Wenski: Jenseits der üblichen Verdächtigen, die sich beschweren, trifft der neue Kurs mehrheitlich auf positive Resonanz. Der Papst hat getan, was Päpste tun sollten: Brücken bauen und Frieden zu stiften. Ich hatte an diesem Tag erklärt: Wir können keine hoffnungsvolle Zukunft auf der Grundlage von Ressentiments aufbauen. Wir begrüßen deshalb diese Verhandlungen mit dem Ziel, eine weiche Landung für die Kubaner hinzubekommen. Denn eine Übergangsperiode wird unvermeidbar sein. Und diese darf nicht im Chaos enden.
KNA: Ohne eine Zivilgesellschaft könnte das schwierig werden.
Wenski: Genau das ist die Herausforderung. Sie können sich vorstellen, dass nach 50 Jahren Diktatur jeder von jemandem betrogen worden ist. Es muss einen Aussöhnungsprozess geben. Es bedarf der Heilung, um Ressentiments überwinden zu können. Einen Beitrag zum Aufbau der Zivilgesellschaft könnte auch die Entwicklung von Familienbetrieben liefern. Die Kirche unterstützt das, indem sie ein Ausbildungsprogramm für Jungunternehmer anbietet. Mehr als 2.000 Leute sind bisher durch dieses Programm, «Cuba Emprende», gelaufen. Es fing in Havanna an und breitet sich in anderen Gemeinden aus.
"Wir müssen der Kirche in Kuba vertrauen"
KNA: Was sagen Sie Kritikern, die Kardinal Ortega Nachgiebigkeit vorwerfen?
Wenski: Wir sind nicht in seinen Schuhen. Wir müssen der Kirche in Kuba vertrauen, das Richtige zu tun. Der Kardinal hat Ergebnisse erzielt, darunter die Freilassung politischer Gefangener. Die andere große Leistung ist die Anerkennung der kubanischen Ortskirche. Dass die Regierung jetzt direkt mit den Kirchenführern auf Kuba spricht, ist Fortschritt. Sie erkennt damit an, dass es Leute außerhalb der Partei gibt, die Menschen repräsentieren.
KNA: Der republikanische US-Senator Marco Rubio sowie die US-Kubaner im Repräsentantenhaus sehen das anders. Was hören Sie von denen, wenn Sie die Position der Kirche vertreten?
Wenski: Ich habe mit keinem dieser politischen Führer seit Dezember gesprochen. Ich habe den Eindruck, sie argumentieren noch immer wie vor 15 oder 20 Jahren - was der heutigen Realität nicht mehr angemessen ist. Meinungsumfragen zeigen uns, dass eine Mehrheit der US-Kubaner in Miami heute nichts gegen eine Lockerung des Embargos hätte. Das ist eine gewaltige Veränderung.
KNA: Woran liegt das?
Wenski: Dahinter stehen ein Generationen- und ein demografischer Wandel. Allein 2014 haben 400.000 US-Kubaner die Insel besucht. Viele davon sind Menschen, die in den 80er und 90er Jahren in die USA gekommen sind und noch Verwandte auf Kuba haben. Die wollen ihre Familien sehen und sind nicht so sehr an der Ideologie interessiert. Am wenigsten flexibel sind die Flüchtlinge aus Tagen der Revolution und zum Teil deren Kinder. Diese Generation ist im selben Alter wie Fidel und Raul. Sie stirbt aus, hier wie dort.
KNA: Aber noch gehen viele dieser US-Kubaner wählen?
Wenski: Was erklärt, warum die Politik etwas hinterherhinkt. Aber wenn die Politiker die Umfragen lesen, werden sie sich ändern oder durch die Umstände zur Veränderung gezwungen. Auch bei der gegenwärtigen Regierung hat es eine ganze Weile gedauert. Über die Jahre habe ich mit vielen Leuten gesprochen und sie immer wieder zu positiven Schritten ermutigt. Präsident Obama hätte nicht sechs Jahre warten müssen.
KNA: Sind die Zugeständnisse Havannas substanziell oder eher taktisch?
Wenski: Schwer zu sagen. Das bleibt das Risiko, das wir für Hoffnung und Frieden eingehen müssen. Wir kennen die Motive auf der anderen Seite nicht. Aber gewiss sollten wir um unsere eigenen wissen. Uns geht es um das Gemeinwohl und die Freiheit der Kirche, die Frohe Botschaft zu verkünden.
Das Interview führte Thomas Spang.