Beim Gottesdienst nach dem Flugzeugunglück geht es um die Opfer, Angehörigen und Helfer

Holzengel als Halt

In einem bewegenden Gottesdienst und einem anschließenden Trauerakt im Kölner Dom wird deutlich: Trotz aller Politprominenz stehen Opfer, Angehörige und Helfer nach der Flugzeugkatastrophe in den französischen Alpen im Mittelpunkt.

Autor/in:
Christina Höwelhans
Trauer am Kölner Dom (dpa)
Trauer am Kölner Dom / ( dpa )

Kleine Engel, die ihre Flügel auszustrecken und in den Himmel zu streben scheinen: Solche Figuren aus hellem Holz finden die Angehörigen, Seelsorger und Staatsgäste vor dem Trauergottesdienst auf ihren Plätzen im Kölner Dom. Die Holzengel sollen ein Zeichen des Halts sein - weil Menschen Engel brauchen, "die ihnen den Weg zeigen und ihnen zur Seite sind", wie der katholische Notfallseelsorger Christoph Dörpinghaus später in dem ökumenischen Gedenkgottesdienst sagen wird. Gottesdienst und Trauerakt sollen ein Zeichen für die Angehörigen sein: Dass sie nicht alleine sind in ihrer Verzweiflung.

Draußen auf dem Platz rund um den Dom wirkt das Leben an diesem Freitag für ein paar Stunden entschleunigt. Die Frühlingssonne scheint noch ein bisschen schwach auf die Domplatte, die weiträumig abgesperrt wurde - aus Sicherheitsgründen, aber vor allem, weil die Privatsphäre der Familie und Freunde der Opfer gewahrt werden soll. Viele Reklametafeln in der Innenstadt werben an diesem Tag nicht, sie erinnern an die Katastrophe: Mit einer schwarzen Schleife auf weißem Grund und der Aufschrift 4U-9525, der Flugnummer des Germanwings-Fluges, der am 24. März so tragisch in den französischen Alpen endete. Auf dem Bahnhofsvorplatz wurde eine Großbildleinwand aufgestellt, auf der Passanten Gottesdienst und Trauerakt verfolgen können. Kränze und Trauergestecke wurden daneben auf einer abgegrenzten Fläche abgelegt.

150 Kerzen - eine für jedes Opfer

Vor der Domplatte stehen seit dem Morgen ein paar Dutzend Menschen für einen Platz im Dom an. Unter ihnen ist Michael Hepp aus Pulheim, der es richtig findet, "dass man hierher kommt und Anteil nimmt." Hans Osterberg, dunkler Anzug und dunkle Krawatte, hat sich aus Wuppertal auf den Weg nach Köln gemacht. Er hat seine Nachbarn, ein junges Ehepaar, bei dem Unglück verloren: "Ich möchte gerne für die beiden beten." Violetta Spallek aus Brühl ist Mutter und sagt, dass sie deshalb ganz besonders die Trauer derer nachvollziehen kann, die ihre Kinder verloren haben: "Ich möchte den Opfern die letzte Ehre erweisen."

In der Kathedrale werden in der Zwischenzeit 150 Kerzen auf den Stufen vor dem Altar entzündet - eine Kerze für jedes Opfer, auch für den Co-Piloten, der wohl für die Flugzeugkatastrophe verantwortlich ist. Danach werden die Angehörigen durch einen Seiteneingang an ihre Plätze geführt. Knapp 50 Journalisten waren schon kurz zuvor durch einen anderen Eingang in den Dom gelassen worden, sie sitzen im gebührenden Abstand zu den Angehörigen, die hier in Ruhe trauern können sollen. Notfallseelsorger, die auch zum Gedenkgottesdienst eingeladen wurden, begrüßen sich in den Kirchenbänken, umarmen sich. Sie sind die einzigen, die die Medienvertreter aus der Nähe zu Gesicht bekommen. Es gibt ein Film- und Fotoverbot für die Journalisten im Dom, die Kameras für die Übertragung des Gottesdienstes bei domradio.de und im Fernsehen verzichten auf Nahaufnahmen der Hinterbliebenen.

Die Antwort: Der mitleidende Gott am Kreuz

Eines wird gleich zu Beginn des Gottesdienstes deutlich: Im Mittelpunkt stehen die Opfer, die Angehörigen und die vielen Helfer, die nach dem Flugzeugunglück im Dauereinsatz waren und immer noch stehen. So sagt Stadt- und Domdechant Robert Kleine in seiner Begrüßung auch, dass es der Sinn des Gottesdienstes und des Traueraktes sei, einander beizustehen: "Das soll uns an diesem Ort über Länder, Sprachen und Konfessionen hinweg verbinden."

Bloße Worte seien zu schwach, um zu trösten, sagt der Kölner Erzbischof Rainer Maria Kardinal Woelki in seiner Predigt, aber die Anwesenheit so vieler Menschen im Dom und auch vor den Bildschirmen solle den Familien und Freunden der Opfer Trost sein, "dass Sie nicht allein sind in diesen Stunden der Einsamkeit". Die Momente mit ihren Lieben seien unzerstörbare Erinnerungen und "die Summe dieser Momente in Gottes Hand aufbewahrt". Er, so Woelki, habe keine theoretische Antwort auf das Unglück, aber er könne auf die Antwort zeigen, an die er selbst glaube: auf den mitleidenden Gott am Kreuz. Und Annette Kurschus, die Präses der Evangelischen Kirche von Westfalen, ermutigt zum Trauern und sagt, "wie gut es ist, wenn wir weinen können".

Für einen sehr bewegenden Augenblick sorgt Sarah, eine junge Frau, die ihre Schwester beim Absturz des Flugzeuges in Frankreich verloren hat. Sie liest eine Fürbitte vor, in der sie Gott darum bittet, die Tränen zu trocknen und den Angehörigen neuen Lebensmut zu schenken. Sie bittet außerdem darum, den Verunglückten ein neues Zuhause zu geben und immer auf sie aufzupassen. Bei diesen Worten bricht ihre Stimme immer wieder.

"Ein Leben ohne Vertrauen ist nicht vorstellbar"

Bundespräsident Joachim Gauck, Bundeskanzlerin Angela Merkel und NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft sind nach Köln angereist, außerdem Vertreter der spanischen und französischen Regierungen. Die Politiker wollen an diesem Tag den Angehörigen zeigen, dass sie mit ihnen mitfühlen. Deshalb kommen sie vor und nach der offiziellen Zeremonie im Maternushaus des Erzbistums Köln mit ihnen zusammen. "Ich wünsche mir so sehr, dass Sie diese Anteilnahme spüren, dass sie Ihnen Kraft gibt in dieser schweren Zeit. Unser Herz ist und bleibt bei Ihnen", sagt Kraft im Trauerakt nach dem Gottesdienst an die Familien und Freunde der Opfer gerichtet. Gauck beschreibt die Anteilnahme als "Band des Mitleidens und Mittrauerns". Er ruft dazu auf auch nach dem schrecklichen Unglück, dass von dem Co-Piloten mutmaßlich absichtlich herbeigeführt wurde, das Vertrauen in andere Menschen nicht zu verlieren: "Ein Leben ohne Vertrauen ist nicht vorstellbar."

Am Ende des Traueraktes auf dem Bahnhofsvorplatz: Passanten und Reisende haben angehalten, stehen vor der großen Leinwand und verfolgen die Reden der Politiker. Hinter dem Bildschirm erhebt sich der Dom, zu dessen Geschichte vor allem auch die Verehrung der Heiligen Drei Könige gehört. Daran erinnert der Bundespräsident in diesem Moment in seiner Ansprache. Die Heiligen Drei Könige seien damals einem Stern gefolgt: "Ich wünsche uns so einen Stern, der uns sicher leitet durch die Dunkelheit des Lebens."


Quelle:
DR