domradio: Was hat Sie dazu veranlasst, sich auf eine solch gefährliche Reise zu begeben?
Wolfgang Bauer: Ich begleite den syrischen Bürgerkrieg schon seit langer Zeit. Ich bin immer wieder in das Land hineingegangen und habe dort eine Menge Leute kennengelernt: Aktivisten, Kämpfer, einfache Zivilisten. Dabei habe ich mitbekommen, wie sich immer mehr dazu entschieden haben, mit ihren Familien das Land zu verlassen, weil sie keine Perspektive mehr gesehen haben. Inzwischen sind hunderttausende Menschen über das Mittelmeer geflohen, ohne dass man genaue Augenzeugenberichte von unabhängigen Unbeteiligten hatte. Den Flüchtlingen, die Europa erreichen, den mag man dann glauben oder auch nicht. Wir wollten einen unabhängigen Augenzeugenbericht haben. Deshalb haben wir uns zu diesem Schritt entschieden.
domradio: Sie haben sich einer Gruppe Flüchtlinge angeschlossen. Haben Sie alles so erlebt, wie es auch die Flüchtlinge erleben? Inklusive der schutzlosen Auslieferung an die Schleuser?
Wolfgang Bauer: Ich denke ja. Die Schleuser hatten ja angenommen, wir seien ebenfalls Flüchtlinge aus einer Kaukasusrepublik. Wir wurden wochenlang in Appartements in Alexandria, der großen Küstenmetropole in Ägypten, wie jeder andere auch versteckt. Wir wurden sogar entführt, weil es nicht nur die Schlepper gibt, sondern auch die Mafia, die sich am Schleppergeld und an den Flüchtlingen, die involviert sind, bereichert. Wir wurden für vier Tage als Geiseln genommen und die Schlepper haben ein Lösegeld für uns bezahlt - ich glaube in Höhe von 3.500 Euro - bis wir dann endlich auf die Boote kamen.
domradio: Können Sie sich an einen Moment erinnern, an dem Sie Angst um ihr Leben hatten?
Wolfgang Bauer: Oft mehrere Male am Tag. Als wir entführt wurden, da waren wir in einer Gruppe zusammen in einem Minibus. Plötzlich tauchten fremde Männer auf, die unsere Schmuggler aus dem Fahrerstand drängten und uns in dunkle Ecken dieser Stadt fuhren. Sie können sich vorstellen, da hat man natürlich große Angst um sein Leben. Wir hatten natürlich auch Angst, im Meer zu ertrinken.
domradio: Hatten Sie die Möglichkeit, an irgendeiner Stelle die Reißleine zu ziehen und zu sagen, Sie seien als Journalist unterwegs und hören jetzt auf?
Wolfgang Bauer: Ja. Das haben wir dann getan, als wir von ägyptischen Sicherheitskräften acht Kilometer vor der ägyptischen Küste verhaftet worden sind. Wir haben es auf die kleinen Motorboote, die einen dann auf die großen Fischerboote zur Überfahrt nach Italien bringen sollen, geschafft. Wir wurden auf einer kleinen Sandbank, auf die wir als Zwischenstation transportiert worden waren, von der Küstenwache verhaftet. Und da mussten wir natürlich sagen, wer wir sind. Wir hätten es aber nicht in Gegenwart der Schmuggler tun können. Denn die hätten, nachdem wir bereits eine längere Zeit mit ihnen verbracht haben, Angst bekommen, dass wir ihre Identitäten verraten und ihre Bilder, die wir mutmaßlich aufgenommen hätten, veröffentlichen.
domradio: Sie schreiben in Ihrer Buchreportage, dass das Meer nicht die größte Gefahr ist. Heißt dass, die Zeit vorher ist noch viel gefährlicher?
Wolfgang Bauer: Es ist alles gefährlich auf diesem Weg. An Land gibt es einen Dschungel an Verbrecherstrukturen und die Mafia. Und auf der See ist es erst recht gefährlich. Freunde, die wir begleitet hatten, und die nach unserer Verhaftung entlassen worden waren, haben es dann noch einmal versucht. Die haben in zehn Tagen Italien auf einem kleinen Kutter erreicht und uns Vieles erzählt. Auch die wurden nochmal von einem Kapitän entführt, der sich weigerte, die 500 Flüchtlinge nach Italien zu bringen. Er wurde von seinen Bossen in Alexandria unter Druck gesetzt, mehr Geld herauszuschlagen. Also ist er ewig vor der libyschen Küste auf und ab getuckert, um mehr Geld herauszuverhandeln, während die Lebensmittelbestände für die Personen auf dem Schiff allmählich zu Neige gingen und das Wasser knapp wurde. Die Schmuggler haben sich gegenseitig auf hoher See gedroht, die Boote zu versenken, weil es Streitigkeiten gab. Es ist eine entsetzlich gefährliche Reise.
domradio: Vor dem Hintergrund dessen, was Sie selbst erlebt haben und was Ihnen die Freunde berichtet haben: Wie nehmen Sie die Nachrichten wahr, wenn man hört, auf dem Mittelmeer sind bei einer Flüchtlingskatastrophe mehrere Hundert Menschen ums Leben gekommen? Geht Ihnen das besonders nah?
Wolfgang Bauer: Ich habe Freunde verloren, die bei anderen Flüchtlingskatastrophen ums Leben gekommen sind, die im vergangenen Jahr ertrunken sind. Es geht natürlich sehr nah. Aber vor allem macht es mich sehr wütend. Wütend darüber, dass die europäische Politik das nicht vorausgesehen hat. Beziehungsweise, sie hat es vorausgesehen und wollte trotzdem ihre Politik nicht ändern und hat den Tod von Tausenden in Kauf genommen, um andere abzuschrecken, nach Europa zu kommen. Das ist für mich eine der größten politischen Fehlentscheidungen, die wir in den letzten Jahrzehnten hatten. Und mich macht auch wütend, dass niemand im Moment den Ruf nach einer persönlichen Verantwortung laut werden lässt. In Deutschland treten Minister zurück, weil sie Doktorarbeiten gefälscht haben. Aber wenn sie Fehlentscheidungen mitzuverantworten haben, die zum Tod von Tausenden führen, bleiben sie unumstritten. Das verstehe ich nicht ganz.
domradio: Vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview führte Matthias Friebe