domradio: Welche konkreten Auswirkungen hat der Streik - vor allem im Güterverkehr - für die Unternehmen?
Prof. Elmar Nass: Es wird ein erheblicher volkswirtschaftlicher Schaden angerichtet. Die Güter werden entweder gar nicht transportiert oder man muss auf andere Möglichkeiten, wie den Straßenverkehr, ausweichen. Das ist nicht nur ein finanzielles, sondern auch ein ökologisches Problem. Auch das sollte man mit berücksichtigen. Ich meine sogar, dass man in der jetzigen Diskussion auch überlegen müsste, ob nicht eine kleine Sparten-Gewerkschaft, die diesen großen volkswirtschaftlichen Schaden herbeiführt, selber dafür im Sinne des Verantwortungsprinzips zur Verantwortung zu ziehen ist.
domradio: Wenn man das Ganze aus christlicher Perspektive betrachtet, wie bewerten Sie dann das Verhalten der GDL? Ist das noch zu verantworten, was da jetzt passiert?
Prof. Elmar Nass: Politisch betrachtet ist es nicht verantwortbar. Soweit ich weiß, sind politische Streiks in Deutschland verboten. Ich habe den Eindruck, beim jetzigen Streik geht es nicht mehr in erster Linie um Lohnerhöhungen sondern um Zeitgewinn. Bevor die Zeit mit der Gesetzesänderung wegläuft, will man möglichst viel für die GDL durchsetzen. Danach ist alles so nicht mehr möglich. Hier stehen politische Interessen im Vordergrund und nicht das Wohl der Arbeitnehmer. Aus christlicher Sicht sind unsere soziale Marktwirtschaft und die Tarifautonomie wichtig. Diese ist ein Instrument, das im Dienst des sozialen Friedens steht und langfristig der Vertrauensbildung dient. Ich glaube, dies wird im Augenblick erheblich verletzt. Schlichtungen sind ja auch abgelehnt worden. Es geht nicht mehr um das Gemeinwohl, den sozialen Frieden und Vertrauensbildung.
domradio: Sie bestreiten aber nicht, dass das Streikrecht ein wichtiger Baustein unserer Demokratie ist, oder?
Prof. Elmar Nass: Das Streikrecht dient dazu, dass wir auf beiden Seiten - Arbeitnehmer und Arbeitgeber - möglichst "Waffengleichheit" haben. Gerade die von den finanziellen Möglichkeiten und der Organisation her schwächer gestellten Arbeitnehmer müssen ihre berechtigten Forderungen durchsetzen können. Auf der anderen Seite muss man aber auch die Frage der Verhältnismäßigkeit stellen. Mir scheint das jetzige Interesse nicht darin zu liegen, was eigentlich ein Streik bewirken soll.
domradio: Welche anderen Möglichkeiten haben denn Berufsgruppen theoretisch noch, um für ihre Rechte zu kämpfen?
Prof. Elmar Nass: Es gibt die Möglichkeit, dass man sich politisch ohne solche Kampfmaßnahmen in Verhandlungen einigt. Ich bin auch im Sinne der sozialen Marktwirtschaft überzeugt davon, dass man ohne solche Kampfmaßnahmen mit vielen Arbeitgebern zu entsprechenden Einigungen kommen könnte. Und was den jetzigen Streik in der Form vielleicht auch hätte verhindern können, wäre die Maßnahme, dass sich die beiden Gewerkschaften einmal zusammengetan hätten und gemeinsam kämpfen würden. Da hätte man unter Umständen ein gemeinsames gutes Ergebnis erzielt ohne diese exorbitanten Streikfolgen.
domradio: Jetzt steht das Thema "Schlichtung" im Raum. Ist das eine gute Idee, wenn die Politik sich jetzt einmischen würde?
Prof. Elmar Nass: Ich sehe aufgrund der jetzigen Rechtssituation keine Alternative. Langfristig würde ich mir wünschen, dass man auf juristischer Seite auch einmal klärt, was die Verhältnismäßigkeit der Mittel bedeutet. Das steht zwar im Augenblick im Gesetz, aber es ist nicht klar definiert, was das heißt. Da sehe ich einen Bedarf, juristisch nachzusteuern. Und personell ist bei Gewerkschaften zu überprüfen, welche Leute an der Spitze stehen und wie sie dem Gemeinwohl gegenüber verantwortlich handeln. Ich kann nur hoffen, dass sich die Partner in der momentanen Situation auf eine Schlichtung einlassen.
domradio: Findet man in der katholischen Soziallehre Hinweise darauf, was in solchen Situationen zu tun ist?
Prof. Elmar Nass: Die katholische Soziallehre hat natürlich keine einfachen Patentantworten auf alle sozialpolitischen Probleme. Der Schutz der Arbeitnehmer ist auf der einen Seite ganz klar. Das war immer eine starke Position in der Soziallehre. Deshalb ein klares "Ja" auch zum Streikrecht. Daran darf nicht gerüttelt werden. Ich behaupte sogar, die GDL rüttelt an der gesellschaftlichen Wertschätzung des Streikrechts, weil der Streik als legitimes Instrument an Ansehen in unserer Gesellschaft erheblich eingebüßt hat. Das ist aus Sicht der katholischen Soziallehre verwerflich. Im Sinne des Gemeinwohls glaube ich, dass sich die Vertreter an der Spitze der GDL nicht dem Gemeinwohl verpflichtet fühlen, sondern ihr eigenes Machtinteresse über das Interesse der Gesellschaft stellen. Das steht im Widerspruch zu den Werten und Prinzipien der katholischen Sozialethik.
domradio: Vielen Dank für das Gespräch.
Das Gespräch führte Hilde Regeniter